Sven Linow (Hochschule Darmstadt), Alexander Basse (Universität Kassel), Joachim Curtius (Goethe-Universität Frankfurt), Angela H. Helbling (Goethe-Universität Frankfurt), Istemi Kuzu (Philipps-Universität Marburg), Sigita Urdze (S4F Darmstadt), Axel Wolfermann (Hochschule Darmstadt)
Das hessische Kabinett hat in seiner Sitzung am 26.07.2022 den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des Klimaschutzes und zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels (Klimagesetz) vorgelegt. Auf diesen Entwurf nehmen wir in dieser Stellungnahme Bezug. Mit dem Klimagesetz soll der Beitrag des Landes Hessen zur Erreichung des 2 °C-Ziels sichergestellt und die Folgen der Klimaerwärmung abgemildert werden.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Verantwortlichkeiten und Prozesse für Klimaschutz und Klimaanpassung gesetzlich geregelt werden sollen. Unsere wissenschaftliche Bewertung zeigt leider, dass der Gesetzesentwurf entscheidende Schwachstellen hat, die verhindern, dass die im Gesetz formulierten Ziele erreicht werden können. Die wichtigsten Schwachstellen sind:
- Klimaschutz und Klimaanpassung müssen als kommunale Pflichtaufgabe verankert werden, denn erst dann besteht die Notwendigkeit für die Kommunen, diese Aufgaben zu bearbeiten, und erst dann werden die Kommunen mit den dafür benötigten Ressourcen ausgestattet.
- Mit dem jetzt vorgesehenen Finanzierungsvorbehalt und dem Fokus auf freiwillige kurzfristige Förderprogramme sind die Ziele des Gesetzes nicht sicher finanziert. Wir schlagen stattdessen vor, einen Betrag von mindestens 10 % des Landeshaushaltes für Klimaschutz und Klimaanpassung im Gesetz verbindlich zu verankern.
- Der Gesetzesentwurf ist unzureichend bei der Einbeziehung von Emissionen: Alle Emissionen, die mit Produkten und Dienstleistungen für Hessen verbunden sind, aber außerhalb der Landesgrenze stattfinden, müssen berücksichtigt werden, wenn echte Klimaneutralität erreicht werden soll. Dies ist in der derzeitigen Entwurfsfassung nicht der Fall. Auch sehen wir eine zu großzügige Behandlung der vorgesehenen Zertifikate. Hier sollte das Gesetz konsistent alle Emissionen einbeziehen (Scope 1 bis 3, siehe unten).
Textversion
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Linoweetal. (2022). Wissenschaftliche Bewertung des Entwurfs zum HKlimaG
Wissenschaftliche
Bewertung des Entwurfs
zum Hessischen Klimagesetz
(Version 1.0, Deutsch, 01. Sept. 2022)
Autoren!: Sven Linow (Hochschule Darmstadt, ), Alexander Basse
(Universität Kassel), Joachim Curtius (Goethe-Universität Frankfurt), Angela H. Helbling
(Goethe-Universität Frankfurt), Istemi Kuzu (Philipps-Universität Marburg), Sigita Urdze
(S4F Darmstadt), Axel Wolfermann (Hochschule Darmstadt)
Zusammenfassung
Das Land Hessen hat einen Entwurf für ein hessisches Klimagesetz vorgelegt. Wir
begrüßen ausdrücklich, dass die Verantwortlichkeiten und Prozesse für Klimaschutz
und Klimaanpassung gesetzlich geregelt werden sollen. Unsere wissenschaftliche
Bewertung zeigt leider, dass der Gesetzesentwurf entscheidende Schwachstellen
hat, die verhindern, dass die im Gesetz formulierten Ziele erreicht werden können.
Die wichtigsten Schwachstellen sind:
- Klimaschutz und Klimaanpassung müssen als kommunale Pflichtaufgabe
verankert werden, denn erst dann besteht die Notwendigkeit für die
Kommunen, diese Aufgaben zu bearbeiten, und erst dann werden die
Kommunen mit den dafür benötigten Ressourcen ausgestattet. - Mit dem jetzt vorgesehenen Finanzierungsvorbehalt und dem Fokus auf
freiwillige kurzfristige Förderprogramme sind die Ziele des Gesetzes nicht
sicher finanziert. Wir schlagen stattdessen vor, einen Betrag von mindestens
10% des Landeshaushaltes für Klimaschutz und Klimaanpassung im Gesetz
verbindlich zu verankern.
Der Gesetzesentwurf ist unzureichend bei der Einbeziehung von Emissionen: Alle
Emissionen, die mit Produkten und Dienstleistungen für Hessen verbunden sind, aber
außerhalb der Landesgrenze stattfinden, müssen berücksichtigt werden, wenn echte
Klimaneutralität erreicht werden soll. Dies ist in der derzeitigen Entwurfsfassung
nicht der Fall. Auch sehen wir eine zu großzügige Behandlung der
vorgesehenen Zertifikate. Hier sollte das Gesetz konsistent alle Emissionen
einbeziehen (Scope 1 bis Scope 3, siehe unten).
! Rolle der Autor:innen: Sven Linow (korrespondierender Autor) hat überwiegende Teile des Textes
geschrieben und die Beiträge der übrigen Autor:innen koordiniert. Die übrigen in alphabetischer Reihenfolge
aufgeführten Autor:innen haben themenspezifisch fachliche Beiträge geleistet sowie den Text im Hinblick auf
Stimmigkeit und Korrektheit geprüft.
Keywords: Hessisches Klimagesetz, HKlimaG, Klimaschutz, Klimaanpassung.
Zitationsvorschlag: Linow, 5, Basse, A. Curtius, }, Helbling, A.H, Kuzu, I, Urdze, 5, Wolfermann, A.
(2022). Wissenschaftliche Bewertung des Entwurfs zum Hessischen Klimagesetz, 27 pp.
https./7dol.org/10.5281/zeno000.7038959
Danksagung: Wir danken Franz Ossing für inhaltliche und sprachliche Verbesserungsvorschläge.
Scientists for Future (S4F) ist ein überparteilicher und überinstitutioneller Zusammenschluss von
Wissenschaftler”’innen, die sich für eine nachhaltige Zukunft engagieren. Scientists for Future bringt als
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verständlicher Form aktiv indie gesellschaftliche Debatte um Nachhaltigkeit und Zukunftssicherungein.
Mehr Informationen unter de.scientistsdfuture.org.
Veröffentlicht unter CC BY-SA4O
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung 1
Kernaspekte 3
Zweck des Gesetzes 6
Begriffe 7
Bewertete Emissionen und Senken 8
Klimaschutzziele 10
Klimaschutz 11
Klimaanpassung 13
Beirat 16
Vorbildfunktion 17
Rolle der Kommunen 21
Überwachung der Fortschritte 24
Negative Emissionen 27
Kernaspekte
Das hessische Kabinett hat in seiner Sitzung am 26.07.2022 den Entwurf eines
Gesetzes zur Förderung des Klimaschutzes und zur Anpassung an die Folgen des
Klimawandels (Klimagesetz) vorgelegt. Auf diesen Entwurf nehmen wir in dieser
Stellungnahme Bezug. Mit dem Klimagesetz soll der Beitrag des Landes Hessen zur
Erreichung des 2°C-Ziels sichergestellt und die Folgen der Klimaerwärmung
abgemildert werden.
Wir begrüßen ausdrücklich den Plan, Klimaschutz und Klimaanpassung in Hessen
gesetzlich zu verankern. Wichtige Elemente des Entwurfes, die den Zielen des
Gesetzes direkt dienen, sind nach unserem Verständnis:
- Der Gesetzesentwurf benennt Klimaschutz und Klimaanpassung als Teil der
Daseinsvorsorge für alle Menschen in Hessen. Dies ist eine zentrale wichtige
Aussage. - Benennung klarer Verantwortung. Der Entwurf weist für alle Aufgaben klare
Verantwortung innerhalb der Behörden und Kommunen zu. Aufgaben, die das
Land sich selbst zuordnet, sind bei einem Klimaministerium zusammen-
gefasst. - Überwachung. Es ist eine kontinuierliche Überwachung mit Bezug auf die
konkrete Umsetzung der Klimaschutz- und Klimaanpassungspläne des
Landes vorgesehen. Dies ist gut, sollte allerdings an einigen Punkten noch
durch engmaschigeres Monitoring gestärkt werden.
Jedoch ist das Gesetz aus wissenschaftlicher Perspektive weder ausreichend konkret
noch ausreichend verbindlich, um die genannten Ziele zu erreichen. Nach unserem
Verständnis sind dies die wesentlichen Aspekte, die den Gesetzesentwurf deutlich
weniger wirksam erscheinen lassen, als dies für die diskutierten Ziele oder zum
Schutz der Menschen in Hessen und ihrer wirtschaftlichen Grundlage notwendig
wäre:
- Einführung eines CO;- und Treibhausgas-Budgets. Um die Erderwärmung
auf deutlich unter 2°C gegenüber vorindustrieller Zeit zu begrenzen, ist die
absolute Menge zukünftig emittierter Treibhausgase (THG) entsprechend
gering zu halten. Dafür ist es wichtig, die noch verfügbaren Mengen zu
kennen, die dieses Ziel erreichen lassen (CO>- und THG-Budget). Im Gesetz
und den in 8 3 gegebenen Zielen wird jedoch kein Bezug zu den Klimazielen
des Pariser Vertrags oder einem hessischen Budget hergestellt. - Berücksichtigung aller relevanten Treibhausgasemissionen. Der Entwurf
bezieht sich ausschließlich auf direkte Treibhausgasemissionen innerhalb des
Territoriums des Landes Hessen (Scope 1}. Emissionen durch den Bezug von
leitungsgebundener Energie (Scope 2) und alle Emissionen außerhalb des
Territoriums von Hessen, die für die Herstellung, Verwendung oder
Entsorgung von Gütern und Dienstleistungen notwendig sind, die in Hessen
genutzt werden (Scope 3), bleiben unberücksichtigt. Hessen importiert auch
in Zukunft große Mengen Energie und ist stark in den globalen Verkehr und
Handel eingebunden. Werden die Emissionen aus Scope 2 und Scope 3 nicht
10.
11.
12.
berücksichtigt, kann echte Klimaneutralität für Hessen daher nicht erreicht
werden.
Fehlgeleitete Industriepolitik. Durch die Nichtberücksichtigung der THG-
Emissionen außerhalb des hessischen Territoriums wird die hessische
Industrie zur Abwanderung angeregt, da dort Emissionen nicht mehr Hessen
zugerechnet werden – dies kann den Wirtschaftsstandort Hessen nachhaltig
schädigen.
Fehlgeleitete Energiepolitik. Es besteht kein Anreiz, die hessische Energie-
versorgung lokal zu unterstützen oder abzusichern. Stattdessen wird in der
jetzigen Form der Import von fossilen Energieträgern in der Form von
Elektrizität oder grauem und blauem Wasserstoff bevorteilt.
Daseinsvorsorge auf kommunaler Ebene ermöglichen. Klimaschutz und
Klimaanpassung werden als Aufgaben der Daseinsvorsorge benannt und die
Verantwortung dafür wird den Kommunenübertragen. Diese Verantwortung
wird dann allerdings explizit nicht den Kommunen als Pflichtaufgabe
zugewiesen. Dadurch vermeidet das Land, die Kommunen und Landkreise
über das Konnexitätsprinzip mit den dafür erforderlichen Ressourcen
auszustatten. Damit haben die Kommunen i.d.R. schlicht nicht die
notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen, um diese ihnen
zugewiesene zusätzliche Aufgabe und die Daseinsvorsorge für die Menschen
in Hessen zu ermöglichen.
Förderprogramme können eine Grundfinanzierung im Rahmen der
Konnexität nicht ersetzen. Die heutigen Förderprogramme sind finanziell
schwach ausgestattet. Die Prozesse zum Einwerben und Erteilen von
Förderprogrammen binden aufgrund des hohen Verwaltungsaufwandes beim
Verfassen, Betreuen und Abrechnen von Projekte erhebliche Ressourcen in
der damit verbundenen Bürokratie, ohne einen langfristigen Mehrwert in den
geförderten Organisationen zu schaffen.
Benachteiligungen entgegenwirken und für einheitliche Lebensbedingun-
gen sorgen. Soziale Aspekte und unterschiedliche Exposition zu Folgen des
Klimawandels wurden nicht berücksichtigt. Da Klimaschutz und Klima-
anpassung als Daseinsvorsorge „im Rahmen der Leistungsfähigkeit‘ von
Kommunen und Kreisen freiwillig umgesetzt werden sollen, besteht die
Gefahr der Benachteiligung sozial schwacher oder stark vom Klimawandel
betroffener Regionen.
Klimaschutz als zentrale Aufgabe der Landesregierung verankern. Die
Verantwortung wird im Gesetz durchgängig von der Regierung auf
nachgeordnete Körperschaften (Ministerien, Kreise, Kommunen) übergeben.
Es fehlt eine zentrale Kontroll- und Durchsetzungsinstanz in der Landes-
regierung. Dass Klimaschutz und Klimaanpassung nicht als zentrale Aufgabe
der Regierung und des Ministerpräsidenten mit weitreichenden Durch-
setzungsbefugnissen gesehen werden, beeinträchtigt die Wirksamkeit des
Gesetzes deutlich.
Sanktionsmöglichkeiten benennen. An keiner Stelle im Gesetz sind
Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen; es wird nicht zwischen unter-
schiedlichen Ursachen für das Nichterreichen von Zielen unterschieden.
Klare Angaben können hier helfen, Fehlentwicklungen vorzubeugen und die
Ziele zu erreichen.
- Finanzierung der Umsetzung sicherstellen. Sämtliche Maßnahmen stehen
unter dem Haushaltsvorbehalt. Das Gesetz enthält selbst keine bindende
Verpflichtung, die benötigten Haushaltsmittel bereitzustellen. So besteht die
Gefahr, dass die Ziele des Gesetzes verfehlt werden, da die Finanzierung der
Maßnahmen nicht sichergestellt wird. Wir schlagen vor, einen Betrag von
mindestens 10 % des Landeshaushaltes für Klimaschutz und Klimaanpassung
im Gesetz verbindlich zu verankern. - Klarheit zur Notwendigkeit und zum Umfang von negativen Emissionen
verschaffen, die sich aus der Diskrepanz zwischen den Zielen in $ 3 und dem
Pariser Abkommen ergeben und die als Konsequenz dieses Gesetzes ab dem
Jahr 2050 oder schon früher für Hessen zwingend werden.
Wir empfehlen daher entsprechende Ergänzungen oder Nachbesserungen, die in den
nachfolgenden Abschnitten ausführlich erläutert werden.
Zweck des Gesetzes
$ 1 Zweck des Gesetzes
(1) Zweck dieses Gesetzes ist die Festlegung eines notwendigen
Beitrags des Landes Hessen zur Begrenzung des Anstiegs der globalen
Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius, möglichst
1,5 Grad Celsius, gegenüber dem vorindustriellen Niveau. Durch diese
Festlegung sollen die sozialen, ökologischen, gesundheitlichen und
ökonomischen Auswirkungen des weltweiten Klimawandels sogering
wie möglich gehalten werden.
(2) Weiterer Zweck dieses Gesetzes ist es, dazu beizutragen, die nicht
zu vermeidenden Folgen des Klimawandels abzumildern und
insbesondere Anpassungsmaßnahmen zum Schutz der menschlichen
Gesundheit, der biologischen Vielfalt, der Gewässer, des Bodens, der
natürlichen Umwelt, des kulturellen Erbes, der Infrastruktur und
sonstiger Sachgüter zu entwickeln und umzusetzen sowie die sozialen
Folgewirkungen abzuschwächen und die Leistung- und
Wettbewerbsfähigkeit der hessischen Wirtschaft zu erhalten.
Zu(1) Dieser Absatz benennt den Zweck des Gesetzes, im Rahmen der
Verantwortung Hessens einen Beitrag zum globalen Klimaschutz zu leisten. Er
verdeutlicht, dass die Auswirkungen des anthropogenen Klimawandels auf Mensch
und Umwelt so gering wie möglich gehalten werden sollen.
Satz eins wiederholt minimale Anforderungen aus dem Übereinkommen von Paris
aus dem Jahr 2015.
Satz zwei definiert das Ziel weder räumlich noch zeitlich.
Zu (2) Dieser Absatz definiert die Schutzgüter, für die die Folgen des anthropogenen
Klimawandels abzumildern sind.
Die Landesregierung übernimmt im Gesetzestext keine explizite gesetzliche
Verantwortung für die Klimaanpassungsmaßnahmen in Hessen. Das Wort
„Verantwortung“ findet sich erst in der nachfolgenden Erläuterung zu 81 (1). Die
Formulierung bleibt passiv, das Gesetz und nicht die hessische Regierung soll dazu
beitragen, Folgen abzumildern, Anpassungsmaßnahmen zu entwickeln, soziale
Folgewirkungen abzumildern und die hessische Wirtschaft zu erhalten. In weiteren
Paragraphen wird dann die Verantwortung jeweils in Landesbehörden, bzw.
insbesondere bei den Kommunen oder Kreisen verortet, jedoch jeweils ohne diesen
ein erweitertes Mandat, zusätzliche Rechte oder zusätzliche für die Umsetzung
notwendige Ressourcen zuzuordnen – s.Uu.
81 erläutert die Ziele und den Kontext des Gesetzes sowie den Beitrag des Landes
Hessen zu den Zielen. Durch die Öffnungsklausel gem. $ 14 Abs. 1 KSG liegt die
Gesetzgebungskompetenz beim Land.
Begriffe
$2 Begriffsbestimmungen
im Sinne dieses Gesetzes ist oder sind:
- Treibhausgase: Kohlendioxid (CO), Methan (CH), Distickstoffoxid
{N20) und Schwefelhexafluorid (SF,), Stickstofftrifluorid (NFs) sowie
teilfluorierte Kohlenwasserstoffe (HFKW) und perfluorierte
Kohlenwasserstoffe (PFKW). - Treibhausgasemissionen: die anthropogene Freisetzung von
Treibhausgasen in Tonnen Kohlendioxidäguivalent, wobei eine Tonne
Kohlendioxidäguivalent eine Tonne Kohlendioxid oder die Menge
eines anderen Treibhausgases ist, die in ihrem Potenzial zur
Erwärmung der Atmosphäre einer Tonne Kohlendioxid entspricht. - Netto-Treibhausgasneutralität: das Gleichgewicht zwischen den
anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen aus Quellen und dem
Abbau solcher Gase durch Senken.
In 821. fehlt in die Stratosphäre emittiertes Wasser. Dies ist relevant, wenn
zukünftig weiter Luftfahrt mit Gasturbinen betrieben werden soll – unabhängig vom
Treibstoff (fossiler oder synthetischer Jet-Fuel oder Wasserstoff) ist das in die
Stratosphäre eingetragene Wasser als Kondensstreifen für eine erhebliche
zusätzliche Treibhauswirkung der Luftfahrt verantwortlich.
In $22. fehlt bei der Benennung des Global Warming Potential (GWP) die
Zeitperspektive. Das GWP einer Substanz ist immer durch den Zeitraum
charakterisiert, über den die Wirkung verglichen wird. Falls als Bezug die veralteten
Daten aus der DIN 8960, Tabelle 2 verwendet werden sollen, so wäre dies z.B. 100
Jahre?.
Diese fachliche Lücke ist nachzubessern, um im Monitoring für Vergleichbarkeit zu
sorgen.
In 82 3. wird eine ausgesprochen allgemeine Definition festgelegt, die so mit dem
Gesetz nicht im Einklang steht. Der Gesetzentwurf beschränkt sich explizit auf
Scope 1 Emissionen, also nur direkte Emissionen, die innerhalb des Territoriums des
Landes entstehen. Mehr dazu im nächsten Abschnitt. Gleichzeitig sollen Entnahmen
auch außerhalb des Landes Hessen als Beitrag für die Zielerreichung möglich sein
($7). Wir sehen das Land Hessen in der klaren Verantwortung, alle mit ihm
verbundenen Emissionen vollständig zu berücksichtigen. Unser Vorschlag ist explizit
die hessischen Treibhausgasemissionen zu definieren:
Hessische Treibhausgasemissionen. Alle durch Aktivitäten in Hessen
verursachten Emissionen von Treibhausgasen.
2 DIN 8960:1998, Kältemittel – Anforderungen und Kurzzeichen
In 823. ist die Formulierung zu Senken und Abbau unglücklich: Gemeint ist
vermutlich die Minderung der Konzentration von THG in der Atmosphäre. Abbau
impliziert hier eine chemische Umsetzung. Unser Vorschlag ist
- Netto-Treibhausgasneutralität: das Gleichgewicht zwischen den
anthropogen verursachten Emissionen von Treibhausgasen aus
Quellen und der Entnahme und langfristigen Bindung solcher Gase
durch Senken.
Bewertete Emissionen und Senken
Von großer Bedeutung für die Anwendung des Gesetzes ist zusätzlich
Zu$2
$2 enthält für das Gesetz relevante Lesaldefinitionen.
Bei den Treibhausgasemissionen im Sinne dieses Gesetzes sind
demnach energiebedingte COz-Emissionen, vorwiegend aus der
Verbrennung fossiler Brennstoffe, genauso enthalten wie nicht-
energiebedingte Treibhausgasemissionen aus Industrieprozessen,
der Landwirtschaft und der Landnutzung. Alle Emissionen werden
entsprechend ihrem Treibhausgaspotenzial in COz-Äquivalenten
berechnet. Im Hinblick auf die genannten Gase bezieht sich das Gesetz
auf die vom Hessischen Statistischen Landesamt ermittelten
Treibhausgasemissionen.
In den Anwendungsbereich der Legaldefinition fallen alle im Land
Hessen verursachten Emissionen, welche in den Sektoren 1)
Energiewirtschaft, 2) Industrie, 3) Verkehr, 4) Haushalte, Gewerbe,
Handel, Dienstleistungen, 5) Landwirtschaft sowie 6) Abwasser und
Abfall entstehen.
Die Festlegung im letzten Satz beschränkt die betrachteten Emissionen auf Scope 1°.
Dies ist eine sehr unvollständige Betrachtungsweise, da sie die mit Produkten, Gütern
oder Dienstleistungen importierten Emissionen (Scope 2 und 3) außer Acht lässt und
3 Wir empfehlen dringend, im Folgenden von der Unterscheidung von Scope 1, 2 und 3 Gebrauch zu machen
und dafür die ergänzenden Begriffsdefinitionen aufzunehmen (z.B. als 82 4.):
“ Scope 1: THG-Emissionen, die innerhalb des Territoriums des Landes Hessen ausgestoßen werden
“ Scope 2: THG-Emissionen, die durch in Hessen stattfindende Nutzung von Energie verursacht
werden. Dies umfasst leitungsgebundene Energie (Elektrizität, Wärme, Dampf, Kälte), sowie alle
Emission aus der Vorkette zur Bereitstellung von fossilen Energieträgern (wie Öl, Gas, Kohle,
Wasserstoff aus Kohle oder Erdgas).
“ Scope 3: Alle weiteren THG-Emissionen, die außerhalb der Landesgrenzen entstehen als Resultat
von Aktivitäten innerhalb der Landesgrenzen; insbesondere die mit der Herstellung oder Entsorgung
von Gütern und die mit Dienstleistungen verbundenen Emissionen
so erhebliche Anteile der THG-Emissionen des Landes Hessen aus dem
Anwendungsbereich des Gesetzes entnimmt, ohne dass damit diese Emissionen und
die damit verbundenen Klimafolgen verringert werden“. Schon bei der üblichen
Bewertung nach BISKO? werden alle Emissionen nach Scope1 und Scope 2
vollständig berücksichtigt.
Daher halten wir fest:
a) In dieser Form ist ein Vergleich hessischer Emissionen mit anderen Ländern
oder Kommunen nicht möglich.
b) In dieser Form wäre es möglich, dass Hessen auch nach 2045 seinen
Elektrizitätsbedarf vollständig aus fossilen Energieträgern deckt, solange die
Kraftwerke außerhalb der Landesgrenzen stehen.
c) Indieser Form kann Hessen grauen oder blauen Wasserstoff beziehen – also
Wasserstoff, bei dessen Herstellung die Treibhausgase Kohlendioxid und
Methan in großen Mengen freigesetzt werden.
d) Es werden alle mit Produkten importierten Emissionen – also Scope 3 –
explizit nicht bewertet. Dies betrifft z.B. Futtermittelimporte aus frisch
gerodetem Regenwald oder mit fossiler Energie hergestellte und importierte
Produkte wie Stahl, Li-Ionen-Akkus oder Zement. Alle mit der Entsorgung
hessischen Mülls verbundenen Emissionen werden nicht gezählt, wenn dieser
Müll außerhalb der Landesgrenze verbrannt wird.
e) Emissionen aus der Luftfahrt werden vermutlich nicht gezählt; Ausnahmen
sind Emissionen verursacht durch den Bodenbetrieb hessischer Flughäfen.
Diese Festlegung widerspricht dabei in eklatanter Weise den grundlegenden Zielen
dieses Gesetzes, da Emissionen nicht gemindert werden müssen, sondern verlagert
werden können. Wenn die Klimaschutzziele global erreicht werden sollen, würde das
Land Hessen hier davon ausgehen, dass andere für die Dekarbonisierung der in
Hessen erzielten Wertschöpfung und den in Hessen stattfindenden Konsum sorgen
und bezahlen. Das widerspräche einer gerechten Aufteilung der Lasten für den
Klimaschutz, wie die internationalen Diskussionen zum Klimaschutz zeigen‘®.
Der Punkt d) widerspricht dem speziellen Schutzziel des Erhalts der Leistungs- und
Wettbewerbsfähigkeit der hessischen Wirtschaft aus $1 (2): Hessen macht sich
abhängig von Importen, da es kurzfristig einfacher sowie ggf. kostengünstiger sein
wird, Produkte mit relevanten THG-Emissionen einzuführen, als die notwendige
Anpassung der hessischen Industrie voranzutreiben. Insbesondere werden hessische
Unternehmen so dazu verleitet, ihre Produktionsstandorte zu verlegen, statt sich auf
4 Importierte Guter und Dienstleistungen würden damit aus hessischer Sicht damit als THG-neutral
erscheinen, obwohl mit ihnen THG-Emissionen verbunden sind. Denn die Emissionen würden nicht den
Konsument:innen in Hessen zugerechnet, für die sie produziert wurden, sondern den Produzent:innen.
5 Hans Hertle, Frank Dünnebeil, Benjamin Gugel, Eva Rechsteiner, Carsten Reinhard (2016). BISKO.
Bilanzierungssystematik-Kommunal. Empfehlungen zur Methodik der kommunalen Treibhausgasbilanzierung
für den Energie- und Verkehrssektor in Deutschland. Kurzfassung. Heidelberg.
€ vgl. den Diskurs zur Gerechtigkeitsfrage auf der COP26 in Glasgow: Susan, E. (2022). A Ca// for Justice: A
Critical Discourse Analysis of Climate Justice at the COP26 (Dissertation). Retrieved from https://uu.diva-
portal.org/smash/record jsf?pid=diva2%3A1668688&dswid=4134
den Strukturwandel zu konzentrieren. Der Gesetzesentwurf könnte so im
schlimmsten Fall zu einer Deindustrialisierung des Landes führen.
Klimaschutzziele
$3Klimaschutzziele
(1) Die Treibhausgasemissionen werden unter Einbezug der
Maßnahmen auf europäischer und nationaler Ebene im Vergleich zum
Jahr 1990 kontinuierlich wie folgt gemindert:
- bis zum Jahr 2025 um mindestens 40 Prozent,
- bis zum Jahr 2030 um 65 Prozent,
- bis zum Jahr 2040 um mindestens 88 Prozent.
(2) Bis zum Jahr 2045 werden die Treibhausgasemissionen so weit
gemindert, dass Netto-Treibhausgasneutralität erreicht wird, Nach
dem Jahr 2050 sollen negative Treibhausgasemissionen erreicht
werden.
1,2
linearer Trend für die Jahre 1990 bis 1996
und 1996 bis 2000
0,8
0,6 .
Klimaziele
(also direkte Emissionen aus Hessen)
nach 83 HKlimaG
0,4
Kohlendioxid-Emissionen bezogen auf 1990
0,2
1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050
Jahr
Abbildung 1- Vorgesehene Klimaschutzziele und zulässige maximale Emission”.
7 Historische Daten nach HMUKLV (2022). Bericht zu den CO2-Emissionen in Hessen. Bilanzjahr 2020.
Wiesbaden. https://umwelt.hessen.de/Klimaschutz/CO2-und-Treibhausgasbilanz
10
Abbildung 1 stellt die in $3 gesetzten Ziele dar. Diese Ziele sind für den zuvor
gesetzten Rahmen (Scope 1 Emissionen in Hessen) sinnvoll. Gleichzeitig sind sie für
die Ziele des Gesetzes nicht ausreichend, da (i) Scope 2 und Scope 3 Emissionen
explizit ausgeschlossen bleiben, die einen substantiellen Anteil der gesamten
hessischen Klimawirkungausmachen und (ii) die hier gegebenen Ziele nicht aus einem
Restbudget-Ansatz bestimmt wurden?. Diese Ziele sind daher nicht damit vereinbar,
dass Hessen seinen Beitrag zu einer Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs
von deutlich unter 2 °C leistet. Es ist im Gegensatz dazu sogar denkbar, dass Hessen
mehr als seinen Anteil an THG emittiert, bzw. unter Berücksichtigung von Scope 2
und 3 deutlich mehr. Wir beziehen uns dabei auf einen Pro Kopf-Anteil, bei dem
Menschen in Hessen zukünftig gleich viel emittieren, wie alle anderen”.
Klimaschutz
$4 Klimaplan Hessen
(1) Der Klimaplan Hessen legt die Maßnahmen zur Erreichung der
Klimaschutzziele nach $3 fest. Die obersten Landesbehörden
erarbeiten für ihren Zuständigkeitsbereich Maßnahmen zur
Zielerreichung für den Einbezug in den Klimaplan Hessen; über die
Maßnahmen ist das Einvernehmen mit der für Klimaschutz
zuständigen Ministerin oder dem hierfür zuständigen Minister
herzustellen.
Der Klimaplan Hessen enthält insbesondere:
- auf wissenschaftlicher Grundlage ermittelte Minderungsziele für
die einzelnen Hauptemissionssektoren, - Maßnahmen zur Zielerreichung, möglichst unter Angabe der jeweils
angestrebten Reduktion von Treibhausgasemissionen, - Vorschläge zur Sicherung und zum Ausbau von Kohlenstoffsenken,
(2) Die für Klimaschutz zuständige Ministerin oder der hierfür
zuständige Minister legt den Entwurf des Klimaplans Hessen der
Landesregierung zur Beschlussfassung vor. Die Landesregierung
beschließt den Klimaplan Hessen.
(3) Die obersten Landesbehörden sind für die Umsetzung der
Maßnahmen des Kilimaplans in ihrem Zuständigkeitsbereich
verantwortlich.
(4) Der Klimaplan ist spätestens nach fünf Jahren ab dem Jahr der
erstmaligen oder letzten Erstellung anzupassen.
8 z.B. https://climateactiontracker.org/countries/germany/
? z.B. https://climateactiontracker.org/countries/germany/
ı1
(5) Die Förderung und die Umsetzung von Maßnahmen des
Klimaschutzes erfolgen im Rahmen der im Haushaltsplan zur
Verfügung stehenden Mittel,
Dies fasst im Wesentlichen das aktuelle Vorgehen bei der Erstellung des Klimaplans
zusammen.
Neu ist die Verpflichtung aller Ressorts, eigene Maßnahmen zu definieren, dies wird
bei der aktuellen (2022) Fortschreibung des Klimaplans noch nicht umgesetzt’°.
Aus der Begründung,
„Der Klimaplan ist dabei ein Instrument der internen Verwaltungs-
steuerung und entfaltet keine Drittwirkung oder einen anderweitig
gelagerten Rechtsautomatismus. Die zur Zielerreichung des
Klimaplans notwendigen Maßnahmen, wie Förderprogramme oder
Fachgesetze, werden gesondert umgesetzt.“
folgt, dass die Umsetzung der Maßnahmen ausgesprochen langsam und verzögert
ablaufen, bzw. dass Maßnahmen an einer Vielzahl von weiteren Hürden scheitern
können. Inwieweit damit die eigentlich hier gesetzten schnellen zeitlichen Ziele
umgesetzt werden können, erscheint zumindest fragwürdig. Hier ist eine hohe
Verbindlichkeit der Maßnahmen und eine schnelle Umsetzung als verbindlich im
Gesetz empfehlenswert. Die Formulierung in $4 (1) 2. erlaubt auch weiter die
Formulierung beliebig belangloser Maßnahmen, da nur „möglichst“ eine Verbindung
zu THG-Emissionen hergestellt zu werden braucht.
Es ist bedauerlich, dass Klimaschutz und Klimaanpassung (s.u.) explizit nicht als
Chefsache definiert werden, sondern als eine Teilaufgabe eines Ressorts angesehen
werden. Dadurch nimmt sich das Land die Möglichkeit, hier die gegebene Bedeutung
zu signalisieren oder der existenziellen Bedrohung der Lebensmöglichkeiten in
Hessen durch den Klimawandel den angemessenen Vorrang zu gewähren. Klima
steht so immer in Abwägung mit anderen Zielen (auch wenn diese durch den
Klimawandel unerreichbar oder irrelevant werden).
In (1) 2. bleibt unklar, wie die Minderungsziele und die Maßnahmen in
Übereinstimmung gebracht werden: Sollen die Maßnahmen sicher die Ziele
erreichen, oder stehen die Maßnahmen unabhängig von den Zielen da?
In (3) erfolgt eine Zuordnung der Verantwortung auf Verwaltungsebene. Damit
werden Klimaschutz und Klimaanpassung (s.u.) zu beliebigen Maßnahmen unter
vielen anderen, die immer in einem Aufmerksamkeits-Wettstreit stehen. Gleichzeitig
ist damit explizit festgelegt, dass weder Staatskanzlei noch Minister:innen hier
verantwortlich sind. Um die mäßig ambitionierten Ziele dieses Gesetzes, oder
10 So hat das Kultusministerium keine eigene Maßnahme, sondern ist bei wenigen Maßnahmen Juniorpartner
anderer Resorts.
11 Yon dieser Möglichkeit haben im aktuellen Entwurf des Klimaplans viele Maßnahmenvorschläge reichlich
Gebrauch gemacht. Oft ist die einzige vorgesehene Beurteilung der Erfolge der realen Maßnahme die Anzahl
von Gesprächen.
12
deutlich ambitionierte Ziele, bei denen Scope2 und 3 berücksichtigt sind,
umzusetzen, wäre es notwendig, die Verantwortung auf der höchsten politischen
Ebene zu belassen. Von dort können wesentlich deutlichere, schnellere und
wirksamere Maßnahmen ergriffen werden.
Zu (4), es bleibt unklar, mit welchem Ziel der Klimaplan anzupassen ist.
Der Finanzvorbehalt in 8 4 (5) wird der Bedeutung der Schutzzielein& 1nicht gerecht.
Hier fehlt eine minimale Zuordnung von Mitteln für diesen Prozess. Oder umgekehrt,
der Finanzvorbehalt ermöglicht es dem Finanzministerium, jederzeit alle
Maßnahmen zum Klimaschutz zu beenden.
Wir schlagen vor, einen angemessenen Anteil des Haushaltes für die Klimaziele
verbindlich einzusetzen. Etwa 10% des Landeshaushaltes erscheinen für die
Dringlichkeit der Aufgabe und die Bedrohungssituation der Bevölkerung und der
Wirtschaft in Hessen angemessen. Diese Mittel sollten zu einem erheblichen Anteil
über das Konnexitätsprinzip den Kommunen zugeordnet werden, damit diese der
dann als Pflichtaufgabe zu setzenden Daseinsvorsorge unter Bedingungen des
Klimawandels gerecht werden können.
Insgesamt sind im Gesetz die Anforderungen an den Klimaplan so gehalten, dass nicht
erkennbar ist, wie hiermit die gesetzten Ziele erreicht werden können:
= Unklar ist, wie die „Minderungsziele‘ in konkrete Vorgaben umgesetzt
werden.
= Unklar ist, welches Ressort für welche Minderungsziele verantwortlich ist:
Konkret welches Ministerium verantwortet zukünftig welche THG-
Reduktion, bzw. welche Sektoren?
= Die Verantwortung für die Umsetzung der Maßnahmen verbleibt nicht inden
Ministerien, sondern ist auf untergeordnete Behörden verschoben. Damit
fehlt letztendlich die Verantwortung in der Landesregierung.
Klimaanpassung
$5 Anpassung an die Folgen des Klimawandels
(1) Das für Klimaschutz zuständige Ministerium entwickelt eine
Strategie zur Abmilderung der negativen Folgen des Klimawandels.
Diese enthält die Ziele, die wesentlichen Handlungsfelder und die
Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel,
(2) Die obersten Landesbehörden erarbeiten für ihren Zuständig-
keitsbereich Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel zum
Einbezug in die Strategie; über die Maßnahmen ist das Einvernehmen
mit der für Klimaschutz zuständigen Ministerin oder dem hierfür
zuständigen Minister herzustellen. Die Maßnahmen werden in der
Strategie zur Abmilderung der negativen Folgen des Klimawandels
zusammengefasst und die für Klimaschutz zuständige Ministerin oder
13
der hierfür zuständige Minister legt die Strategie der Landesregierung
zur Beschlussfassung vor. Die Landesregierung beschließt die
Strategie zur Abmilderung der negativen Folgen des Klimawandels.
(3) Die Strategie zur Abmilderung der negativen Folgen des
Klimawandels ist spätestens nach fünf Jahren ab dem Jahr der
erstmaligen oder letzten Erstellung anzupassen.
(4) Für die Umsetzung der Maßnahmen zur Abmilderung der
negativen Folgen des Klimawandels sind die obersten Landesbe-
hörden in ihrem Zuständigkeitsbereich verantwortlich,
(5) Die Förderung und die Umsetzung von Maßnahmen zur
Abmilderung der negativen Folgen des Klimawandels erfolgen im
Rahmen der im Haushaltsplan zur Verfügung stehenden Mittel,
Die Kommentare zum 8 4 Klimaplan gelten auch zum 8 5 Anpassung an die Folgen des
Klimawandels.
Klimaanpassung wird absehbar erhebliche Aufmerksamkeit und tiefgreifende
strukturelle Veränderungen auf allen betroffenen Ebenen erfordern, die Abbildung 2
zeigt einen Rückblick und macht deutlich, dass Südhessen inzwischen mediterranes
Klima aufweist. Hier ist fraglich, wie der hier angedeutete Prozess dies in der
notwendigen Schnelligkeit und mit den dafür notwendigen ordnungsrechtlichen
Maßnahmen ermöglichen kann. Bereits heute wissen wir aus den Informationen, die
das HLNUG bereitstellt:
= dass geordnete Forstwirtschaft absehbar bald in weiten Bereichen des
Landes nur sehr eingeschränkt möglich sein wird*?.
= dass die Landwirtschaft vor sehr großen Herausforderungen steht, da
bestehende Flächen z.T. nicht mehr bewirtschaftet werden können*®,
= dass der heutige Ausbau von Flussläufen mit seinem Fokus auf schnellen
Abfluss eine hohe Gefahr für Anlieger bei Starkregen darstellt und
gleichzeitig die Effekte von Trockenheit und Dürre massiv verstärkt.
= dass in Schulen und Hochschulen heute schon aufgrund alter, schlecht oder
nicht isolierter und schlecht oder nicht sonnengeschützter Gebäude ein
geordneter Unterricht und Betrieb von Juni bis September nur schwer
durchzuhalten ist!“
12 Haupt-Hinderungsgrund sind die zunehmend trockeneren Vegetationsperioden. Viele Bäume in hessischen
Wäldern kommen damit absehbar nicht zurecht und sterben ab.
13 Auch hier schränken trockenere Vegetationsperioden die Möglichkeiten deutlich ein. Es steht in Hessen
nicht ausreichend Wasser zur Verfügung, um flächendeckend auf Bewässerungslandbau umzustellen.
14 In vielen Schulen und Hochschulen stellen sich schon im Mai 30 °C in Innenräumen ein (z.B. IG-Farben-
Gebäude der Goethe-Universität, Südseite); in Hörsälen werden im Juni und Juli regelmäßig über 40 °C
erreicht (Hochschule Darmstadt, C12). Ab 26°C sind das Aufnahme- und Lernvermögen bereits deutlich
gemindert.
14
= dass insbesondere ärmere oder sozial benachteiligte Stadtviertel extreme
Hitzeinseln darstellen, die Gesundheit und Leben ihrer Bewohner gefährdet.
Die Maßnahmen, die hier eine messbare Veränderung ermöglichen, werden
ordnungspolitisch und gesetzgeberisch sein, sie werden Nutzungsänderungen
unterstützen z.B. durch Flächentausch, Neuzuordnung von Nutzungsbedingungen,
Veränderung von Schutzgebieten oder Schutzzielen??. Die Regionen und Kommunen
werden alleine erhebliche Mittel benötigen, um die Kanalisierung hessischer
Gewässer in angemessener Form zurückzubauen und um Infrastruktur zu schaffen,
die den veränderten Anforderungen gerecht wird!°. Weitere Mittel werden benötigt,
um Siedlungen an Hitze anzupassen und um Infrastruktur aus dem Gefährdungs-
bereich von Hochwasser oder Feuer zu entfernen.
Jan Fb Mar Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez
Monat
Abbildung 2 – Klimadiagramm für Darmstadt.
15 Der wissenschaftliche Konsens ist, dass nur Risiko-Management nicht ausreicht, um Gefährdungen zu
verringern, sondern dass es Transformation von Strukturen einschließlich “Managed Retreat”, also dem
geordneten Rückzug aus besonders gefährdeten Gebieten bedarf und dass soziale Gerechtigkeit ein
essentieller Baustein jeder geordneten Herangehensweise ist. Siehe Tellman, B., Eskin, H. (2022). Risk
management alone fails to limit hazard impact. Nature, 608, 41-43. https://www.nature.com/articles/d41586-
022-02031-0 und Kreibich, H., Van Loon, A.F.,Schröter, K.etal. (2022). The challenge of unprecedented floods
and droughts in risk management. Nature 608, 80-86. https://doi.org/10.1038/541586-022-04917-5
16 Einen Einstieg in gute Strukturen gibt Gies, E. (2022). Water always wins. Thriving in an age of drought and
deluge. Head of Zeus, London.
15
Der Finanzvorbehalt in 85 (5) wird der Bedeutung der Bedrohung der hessischen
Bevölkerung und ihrer wirtschaftlichen Grundlage nicht gerecht. Hier fehlt eine
minimale Zuordnung von Mitteln für diesen Prozess. Oder umgekehrt, der
Finanzvorbehalt ermöglicht es dem Finanzministerium, jederzeit alle Maßnahmen
zur Klimaanpassung zu beenden.
Wir schlagen vor, einen angemessenen Anteil des Haushaltes für die Klimaziele
verbindlich einzusetzen. Etwa 10% des Landeshaushaltes erscheinen für die
Dringlichkeit der Aufgabe und die Bedrohungssituation der Bevölkerung und der
Wirtschaft in Hessen angemessen. Diese Mittel sollten zu einem erheblichen Anteil
über das Konnexitätsprinzip den Kommunen zugeordnet werden, damit diese der
dann als Pflichtaufgabe zu setzenden Daseinsvorsorge unter Bedingungen des
Klimawandels gerecht werden können.
Beirat
$6 Wissenschaftlicher Klimabeirat
(1) Die Landesregierung beruft auf Vorschlag der für Klimaschutz
zuständigen Ministerin oder des hierfür zuständigen Ministers einen
in seinen Empfehlungen unabhängigen wissenschaftlichen Klima-
beirat, der die Landesregierung regelmäßig in Fragen zum Klima-
schutz und zur Klimawandelanpassung berät. Er wird mit Mitgliedern
besetzt, die über besondere Sachkunde auf dem Gebiet der
Klimaforschung, Ingenieurwissenschaften, Umweltwissenschaften,
Wirtschaftswissenschaften, Rechtswissenschaften, Sozialwissen-
schaften, Medizin oder verwandten Gebieten verfügen.
(2) Der wissenschaftliche Klimabeirat besteht aus fünf Mitgliedern.
Sie werden persönlich berufen und sind an Weisungen nicht
gebunden. Die Amtszeit jedes Mitglieds beträgt fünf Jahre, eine
erneute Berufung ist zulässig.
(3) Der wissenschaftliche Klimabeirat wählt aus seiner Mitte das
vorsitzende Mitglied und eine Vertretung.
(4) Der wissenschaftliche Klimabeirat ist jederzeit berechtigt,
gegenüber der Landesregierung Empfehlungen abzugeben.
Die Landesregierung verfügt im HLNUG bereits über diese Kompetenzen, allerdings
weisungsgebunden.
Zentral ist, wie es gelingt, hier engagierte Personen zu berufen, die aktuelle
wissenschaftliche Erkenntnisse in die Politik hineintragen können. Zugleich ist
zentral, dass dieser Beirat von der Landesregierung einschließlich des Minister-
präsidenten als wichtige Stimme wahrgenommen wird.
16
Es ist unklar, wie unabhängige wissenschaftliche Expertise bei den Mitgliedern des
Beirates sichergestellt werden kann, besonders, da die Mitglieder auf den Vorschlag
der für Klimaschutz zuständigen Ministerin oder des hierfür zuständigen Ministers
berufen werden sollen. Dies ist nicht geeignet, Vertrauen in die Unabhängigkeit des
Beirats zu schaffen.
Es ist unklar, ob der Beirat im Konsens sprechen muss, oder ob einzelne Expert:innen
unabhängig sprechen können. Insbesondere wenn ein Beiratsmitglied ideologisch
gefestigt ist oder den Auftrag hat, den Beirat zu stören, könnte das hier benannte
Konsensprinzip den Beirat blockieren. Diese Frage sollte in einer Geschäftsordnung
geregelt werden
Angesichts der Komplexität der Problematik und der Vielzahl an Themen und nötigen
Expertisen ist die Anzahl der Mitglieder mit fünf zu klein gewählt – allein im
vorliegenden Entwurf werden bereits sechs Themenfelder exemplarisch aufgezeigt.
Der Beirat sollte daher aus ca. 8 Mitgliedern bestehen. Zusätzlich sollte er in die Lage
versetzt werden, externe Experten einzubinden, sowie die Möglichkeit haben,
themenspezifische Arbeitsgruppen zu berufen.
In der hier angelegten Form wird ein ehrenamtliches Engagement von aktiven
Wissenschaftler:innen erwartet; um diesen Personen zumindest ein gewisses Maß an
Unterstützung zu geben, wird eine Geschäftsstelle benötigt. Wenn dieser Beirat in
einer fachlich angemessenen Form und tiefer in die speziellen Probleme Hessens
einsteigen soll, dann wäre je Beiratsmitglied ein:e hauptamtliche:r wissenschaft-
liche:r Mitarbeiter:in (E14) zur Unterstützung notwendig.
Zu (4), es bleibt unklar, ob die Mitglieder des Beirats unabhängig kommunizieren und
mit ihren Einschätzungen und Empfehlungen an die Öffentlichkeit treten können. Für
ein starkes Mandat des Beirats und transparenten Umgang ist eine solche
Kommunikationsmöglichkeit unerlässlich. Die Empfehlungen sollten öffentlich
zugänglich sein, also mit der Übergabe veröffentlicht werden.
Vorbildfunktion
$7 Vorbildrolle des Landes
(1) Das Land wirkt vorbildhaft darauf hin, die Ziele dieses Gesetzes zu
erreichen.
(2) Die Zwecke dieses Gesetzes, insbesondere die Ziele zur
Reduzierung der Treibhausgasemissionen, sind bei allen Planungen,
Maßnahmen und Entscheidungen der öffentlichen Hand zu
berücksichtigen.
(3) Beschlüsse der Landesregierung über Gesetzesentwürfe und
Verordnungen werden unter Abwägung der Auswirkungen auf die
Klimaschutzziele nach $ 3gefasst. Die wesentlichen Abwägungen und
Entscheidungsgründe sind in der Beschlussvorlage festzuhalten.
17
Satz 1 gilt auch für Förderprogramme von erheblicher finanzieller
Bedeutung.
(4) Beider Planung, Auswahl und Durchführung von Investitionen und
bei der Beschaffung durch das Land Hessen ist für die Vermeidung
oder Verursachung von Treibhausgasemissionen ein CO2-Preis
zugrunde zu legen.
(5) Bis zum Jahr 2030 wird die Landesverwaltung netto-
treibhausgasneuftral organisiert.
Dies wird vorrangig durch die Reduktion des Energiebedarfs, die
effiziente und emissionsneutrale Bereitstellung, Umwandlung,
Nutzung und Speicherung von thermischer und elektrischer Energie
sowie die Nutzung erneuerbarer Energien erreicht. Weiterhin nicht
vermeidbare Treibhausgase sind durch Zahlungen zur Finanzierung
von treibhausgasmindernden Investitionen (Zertifikate für
Treibhausgasemissionen) zu kompensieren.
(6) Bis spätestens zum Jahr 2045 soll die Kompensation über
Zertifikate eingestellt werden.
(7) Die obersten Landesbehörden sind für ihren Zuständigkeits-
bereich für die Zielerreichung verantwortlich.
(8) Die Landesregierung legt dem Landtagab dem Inkrafttreten dieses
Gesetzes alle zwei Jahre einen Bericht zum Stand der Umsetzung des
Ziels nach Abs. 5 Satz 1 vor. Der Bericht umfasst insbesondere
Angaben zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen durch die
Nutzung landeseigener Gebäude, Art und Höhe des Energiebedarfs in
der Landesverwaltung sowie durch dienstliche Mobilität.
(9) Für landeseigene Gebäude ist bis zum Jahr 2026 ein Plan zu
erstellen, der festlegt, mit welchen Maßnahmen für die Gebäude
Netto-Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2045 erreicht wird. Die
Umsetzung des Plans muss bis spätestens 2040 begonnen werden.
Ab dem Jahr 2026 werden in landeseigenen Gebäuden bei der
Umrüstung oder Neuausstattung der Gebäudetechnik grundsätzlich
nur Anlagen verwendet, die auf die Verbrennung fossiler
Energieträger verzichten.
(10) Landeseigene Grundstücke, insbesondere Wald- und Moor-
flächen, landwirtschaftliche Flächen sowie Gewässer in staatlicher
Unterhaltslast, werden so aufgewertet, dass sie ihr Potenzial zur
Bindung von Kohlenstoff unter Beachtung der Funktionen für die
biologische Vielfalt steigern.
Dieser Paragraph weist einen durchgehenden Mangel an Mandaten und Sanktionen
auf. So erscheint er als Absichtserklärung, der eine bindende Wirkung vermissen
lässt.
18
Zu (1) Andieser Stelle lässt sich das übergreifende Ziel aus (1) in den aktuellen realen
Handlungen des Landes nur schwer erkennen’”, insbesondere, da die Landes-
regierung schon länger zögert, notwendige ordnungsrechtliche Vorgaben zu
gestalten, die zu Handlungen führen würden.
Dazu kommt, dass es der Landesregierung in ihrem eigenen Bereich möglich ist, statt
„vorbildhaft darauf hinzuwirker‘, explizite direkte Handlungen anzuweisen und
vorzunehmen. Hier wird dringend eine stärkere Formulierung benötigt, wie
..das Land, alle seine Behörden und Kommunen setzen die Ziele
dieses Gesetzes selbst in vorbildlicher Weise um.
Aus dieser Position heraus kann es dann auch andere Akteure überzeugen.
Zu(2) Aus „zu berücksichtigen‘ erfolgt keine Veränderung. Hierzu bedarf es deutlich
klarerer ordnungsrechtlicher Vorgaben in den relevanten Regularien (z.B. der
Hessischen Bauordnung HBU). In dieser Form erzeugt die Festlegung vorrangig
weitere Berichte und Dokumentationen, mit denen reale Handlungen weiter
verzögert und zugleich verteuert werden.
Zu (3) Wie dies in der Realität erfolgt, hat das Vorwort des iKSP 2025 sehr deutlich
gezeigt’®: Das Land erwartet, dass sich alle Ziele dem Wirtschaftswachstum
hintanzustellen haben. Hierbei bleibt unklar, an welcher Stelle die Wirtschaft so
ausreichend wächst, dass andere Maßnahmen erfolgen dürften.
Ohne verbindliche Ziele sorgt diese Formulierung zunächst nur für zusätzliches
Berichtswesen mit dem einhergehenden Aufwand bei den zuständigen Behörden,
ohne dass sich eine Wirkung im Sinne des Gesetzes entfaltet. Es ist richtig, dass alle
Beschlüsse der Regierung auf ihre Relevanz für den Klimaschutz und die Klima-
anpassung geprüft und das Ergebnis dieser Prüfung nachvollziehbar dargestellt
werden sollten. Dies muss jedoch an verbindliche Ziele gekoppelt werden, so dass
Maßnahmen, die den Zielen dieses Gesetzes widersprechen, nur verabschiedet
werden können, wenn ein gleichrangiges und verfassungsrechtlich verbrieftes Ziel
mit diesen Maßnahmen verfolgt wird, was sich anders nicht erreichen lässt.
Zu (4) Dies ist grundsätzlich ein sinnvoller Ansatz, der vielen Organisationen direkt
hilft, ihren Beitrag zu leisten.
Hier fehlt entweder ein Preis oder Kriterien, nach dem dieser Preis festgelegt wird.
Auch in der Begründung wird nur eine Empfehlung ausgesprochen. Letztendlich
entscheidet dann der festgelegte Preis darüber, welche Maßnahmen sich lohnen.
Einen starken Impuls würde es setzen, hier die langfristige geologische Bindung von
Kohlendioxid zu Grunde zu legen – mit heute etwa 1 € je kg Kohlendioxid.
17 Als Beispiel: Der wesentliche Gebäudebestand des Landes sind Hochschulen. Der Investitionsstau in den
Hochschulen (z.B. 120 ME für die Hochschule Darmstadt) macht es ihnen schlicht unmöglich, ihre Infrastruktur
in den nächsten 7 Jahren zielgerecht umzustellen. Zugleich sind im aktuellen Entwurf des Klimaplans dazu
keine relevanten Maßnahmen vorgesehen oder Ressourcen zugeordnet.
18 |_inow, S., Becherer, R., Helbling, A.H., Jordan, U., Kuzu, I., Moser, G., Seifert, T., Schöniger, M., Wolfermann,
A. (2021). Der integrierte Klimaschutzplan des Landes Hessen. Wissenschaftliche Bewertung des IKSP durch
S4F Hessen (1.0). https://doi.org/10.5281/zenodo.4420166
19
Zu (5) Dieses Ziel gibt es schon länger. Gleichzeitig ist bisher wenig erkennbar, wie
kontinuierlich auf dieses Ziel hingearbeitet wird. Es fehlen eindeutige, auch
ordnungsrechtliche Vorgaben, Ressourcen und Mandate, hier schnell zu handeln.
Dazu kommt, dass im Entwurf des Klimaplanes z.B. erkennbar nicht die benötigten
Ressourcen zugeordnet wurden, die es z. B. den Hochschulen des Landes als wichtige
Emissionsquellen ermöglicht, die gesetzten Ziele anzugehen. Wir gehen davon aus,
dass dies typisch für alle Bereiche der Landesverwaltung ist.
Unklar ist, was „Weiterhin nicht vermeidbare Treibhausgase‘ sind. Hier werden klare
Kriterien dafür benötigt, was zumutbare Veränderungen darstellen. Diskussions-
beiträge zu diesem Thema liegen beispielsweise beim Umweltbundesamt bereits vor.
Statt notwendige Maßnahmen zur Effizienzsteigerung und zur Reduktion schnell und
gezielt anzugehen, wird nun die Möglichkeit geschaffen, jedwede Klimaschutz-
Handlung zu vermeiden und stattdessen Zertifikate zu erwerben, mit denen
Emissionen zukünftig ausgeglichen werden sollen:
= Es fehlen Kriterien, nach denen Zertifikate ausgewählt werden können.
Erhebliche Teile heute erwerbbarer Zertifikate bilden keine realen negativen
Emissionen ab. Insbesondere wenn größere Organisationen wie das Land
Hessen hier einen absehbar großen Bedarf erzeugen, treten schnell unseriöse
Angebote auf!?”. Ausreichende Mindestanforderungen für Zertifikate sind
festzulegen.
= Die Beschaffung von belastbaren Zertifikaten erzeugt schnell erhebliche
laufende Kosten?®. Diese Mittel stehen dann nicht mehr für den Betrieb,
aktiven Klimaschutz, Klimaanpassung oder gar für Investitionen zur
Verfügung.
= Wenig belastbare Zertifikate tragen die Gefahr des Greenwashing in sich.
„= Die Kohlendioxid-Emission von Flugreisen stellt nur etwa 1/3 der direkten
Treibhauswirkung dar, die klimawirksamen Kondensstreifen können in der
Logik dieses Gesetzes nicht berücksichtigt werden.
Zertifikate sind daher erst einmal abzulehnen, da sie keinen Mehrwert für das Land
und die Menschen in Hessen schaffen und keine reale Problemlösung darstellen. Im
schlimmsten Fall vergeuden sie nur Steuermittel.
Falls es aus Gründen, die das Land selbst nicht verantworten kann, dazu kommt, dass
Ziele nicht erreicht werden können, dann erscheint es sinnvoll, die eigentlich für
eigene Maßnahmen vorgesehenen Mittel an anderem Ort für reale negative
Emissionen einzusetzen.
In der Logik dieses Gesetzes müssten alle Zertifikate, dievom Land Hessen erworben
werden, durch negative Emissionen in Hessen ermöglicht werden: So wie 82 festlegt
(Begründung zu 8 2, siehe Abschnitt 2.3), dass explizit nur Emissionen aus Hessen
19 Diese Erfahrung ist eine der relevanten Erkenntnisse aus Joppa, L., Luers, A., Willmot, E., Friedmann, 5.).,
Hamburg, 5.P., Broze, R. (2021). Microsoft’s million-tonne CO>-removal purchase — lessons for net zero.
Nature, 597, 629-632. https://www.nature.com/articles/d41586-021-02606-3
20 Wie Joppa et al. (2021) argumentieren, genügt im Wesentlichen DACCS diesen Anforderungen mit einem
Preis von aktuell 1000,- € pro t CO; (z.B. https://climeworks.com/subscriptions)
20
berücksichtigt werden, so können damit natürlich auch nur negative Emission in
Hessen die Grundlage von Zertifikaten sein, die das Land Hessen erwirbt. In diesem
Falle begrüßen wir ausdrücklich diesen Ansatz, er sollte nur juristisch klar formuliert
werden.
Zu (6) Der Einstieg in den großvolumigen Erwerb von Zertifikaten aus Steuermitteln
erschafft ein langfristiges Lock-In, da Landesmittel für die Umstellung der Prozesse
und Gebäude fehlen. Es ist fragwürdig, ob hier ein Ausstieg gelingt; dies antizipiert
dieses Gesetz bereits durch das „soll“, über das auch die Ausführung zur Begründung
nicht hinwegtäuschen können.
Zu(7) Durch diese Zuordnung der Verantwortung ist die Durchsetzung und
Kontrolle durch die Landesregierung nur indirekt. Es fehlen starke Kontroll- und
Durchsetzungsinstanzen – diese könnten z.B. bei der Staatskanzlei liegen. Zudem
fehlen Sanktionsmöglichkeiten bei Nichteinhalten der Vorgaben.
Zu (8) In diesem Bericht sollte zwischen Zertifikaterwerb und realer Minderung
unterschieden werden, um über reale Erfolge und aufgeschobenen Problemen
unterscheiden zu können Es fehlen Kontroll-, Sanktions- und Durchsetzungs-
instanzen.
Zu (9) Dieser Abschnitt kann als Eingeständnis der Landesregierung gelesen werden,
dass die „COz-neutrale Landesverwaltung“ bisher eher als Greenwashing gedacht
ist?!, Die Umsetzung ist z.T. weit in die Zukunft verschoben und steht unter dem
Finanzierungsvorbehalt. Hier fehlt die Notwendigkeit jetzt mit Maßnahmen zu
beginnen, damit die Ziele dieses Gesetzes dann auch eingehalten werden können.
Eine Situation, die im direkten Widerspruch zu 8 7 (1) steht, soll hier festgeschrieben
werden. Sinnvoll und in Einklang mit der Vorgabe aus 87 (1) wäre, den Plan bis Juni
2023 einzufordern und die Umsetzung bis 01.07.2023 zu starten. Es fehlen auch hier
Kontroll-, Sanktions- und Durchsetzungsinstanzen.
Rolle der Kommunen
$8 Gemeinden und Landkreise
(1) Die Gemeinden und Landkreise tragen als Teil der Daseins-
vorsorge eine besondere Verantwortung für die Erreichung der
Klimaschutzziele und die Anpassung an die nicht zu vermeidenden
Folgen des Klimawandels. Sie nehmen diese Aufgabe in eigener
Verantwortung und im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit wahr.
(2) Das land unterstützt sie hierbei durch Förderung und
Beratungsangebote, insbesondere bei der Erstellung kommunaler
Klimaschutz- und Klimawandel-anpassungsstrategien sowie beim
Energie-, Gebäude- und Mobilitäts-management und der Umsetzung
daraus abgeleiteter Maßnahmen.
2! https://co2.hessen-nachhaltig.de/
21
In (1) wird die Frage der Verantwortung geklärt, die bisher ziemlich vage blieb.
Durchgängig enthebt sich dabei die Landesregierung selbst ihrer Verantwortung und
platziert sie in untergeordneten Einheiten, ohne jeweils das Thema der Ressourcen
zu klären.
Hier werden zwei beeindruckend komplexe und schwierige Aufgaben an die
Kommunen und Landkreise übergeben, jedoch explizit nicht als kommunale
Pflichtaufgabe, sondern als zusätzliche freiwillige Leistung. Damit entfällt für das
Land die Verpflichtung, die für die Umsetzung von kommunalem Klimaschutz und
kommunaler Klimaanpassung notwendigen Ressourcen geordnet zur Verfügung zu
stellen.
Wir sehen diese Festlegung als zentrale Schwachstelle des Entwurfs an. Bis hierher
wird ein Rahmen geschaffen, der durchaus geeignet wäre, Klimaschutz und
Klimaanpassung in Hessen gemeinsam, verantwortlich und sozial anzugehen. Mit
obiger Festlegung wird dieser Ansatz aufgegeben. Sollen die Klimaziele dieses
Gesetzes erreicht werden, ist es aus unserer Sicht unabdingbare Voraussetzung, dass
Klimaschutz und Klimaanpassung kommunale Pflichtaufgaben sind.
Das Potential für Klimaschutz durch ausreichende, schnelle und zielgerichtete
kommunale Maßnahmen wird vom UBA auf etwa ein Drittel der gesamten
Emissionen geschätzt??. Dieses Potential der Eigenverantwortung und insbesondere
der eigenen Leistungsfähigkeit der Gemeinden und Kommunen zu überlassen,
erscheint angesichts der formulierten ambitionierten Ziele der hessischen
Landesregierung, des begrenzten finanziellen Spielraums vieler Kommunen und
Landkreise und angesichts der Notwendigkeit schneller, konsequenter und
umfassender Reduktion klimaschädlicher Emissionen nicht sinnvoll.
Dabei macht in (1) bereits die Festlegung „im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit“
deutlich, dass dieses kommunale Potential eben nicht gemeinsam und systematisch
für Hessen gehoben werden soll. Innerhalb der Kommunen sind solche zusätzlichen
freiwilligen Aufgaben oft nur schwer durchzusetzen. Innerhalb der kommunalen
Verwaltung sind alle Mitarbeiter:innen bereits ausreichend mit Pflichtaufgaben
sowie bereits vorhandenen freiwilligen Aufgaben beschäftigt und haben schlicht
nicht die Ressourcen, solche zusätzlichen Tätigkeiten umzusetzen”.
22 Jmweltbundeamt (2022). Klimaschutzpotenziale in Kommunen. Quantitative und qualitative Erfassung von
Treibhausgasminderungspotentialen in Kommunen. Berlin.
https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/47 9/publikationen/factsheet_klimaschutzpot
enziale_in_kommunen.pdf
23 „Jedoch ist Klimaschutz bisher nicht Teil der kommunalen Daseinsvorsorge. Daher fehlt es oftmals an
‚personellen und finanziellen Mitteln, manchmal am politischen Willen, häufig an qualifiziertem Personal oder
auch an Kompetenzen und Zuständigkeiten. Im Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung wurde
festgehalten (Klimaschutzplan 2050, 5. 77): Zwar sind viele Städte und Gemeinden in Deutschland bereits seit
einigen Jahren im Klimaschutz sehr engagiert. Dennoch istes für die Kommunen nicht selbstverständlich, dem
Klimaschutz im Rahmen ihrer Aufgaben gezielt Rechnung zu tragen” Umweltbundesamt (2022).
Klimaschutzpotenziale in Kommunen. Quantitative und qualitative Erfassung von Treibhausgasminderungs-
‚potentialen in Kommunen. Berlin.
22
Wir sehen hier noch einen weiteren ausgesprochen relevanten Aspekt darin, dass
insbesondere wirtschaftlich schwache Kommunen nicht in der Lage sind, aus eigener
Kraft Maßnahmen zur Klimaanpassung zu ergreifen. Damit wird Klimaanpassung als
Daseinsvorsorge ein Luxus besonders reicher Kommunen. Sozial schwache,
bedürftige Menschen werden ungeschützt alleine gelassen – und das, obwohl
finanziell schwächere Menschen häufig besonders von den Folgen des Klimawandels
betroffen sind“.
In (2) wird dann die Unterstützung des Landes vage formuliert. Vage, da keine klaren
Angaben zur Höhe oder Konstanz dieser Mittel gegeben werden??. Vorgesehen sind
Beratungsangebote und Förderprogramme. In der Realität haben Kommunen heute
kaum Ressourcen für solche zusätzlichen freiwilligen Aufgaben, da bereits die damit
verbundenen Prozesse erhebliche Ressourcen binden?*®. D.h. in der Realität erzeugt
das System weniger Mehrwert für die Menschen in Hessen?”, als eine direkte
Finanzierung von realen Maßnahmen z. B. im Rahmen der Konnexität.
Ein weiterer Aspekt in (2) ist, dass alle hessischen Kommunen jeweils letztendlich
identische Datenforderungen an Treibhausgas-Bilanzen, vergleichbare Bedürfnisse
für Klimaschutzpläne und vergleichbare Berichtspflichten haben. Die beauftragten
Mitarbeiter:innen in den Kommunen müssen sich jeweils individuell in die Materie
einarbeiten, befristete Mitarbeiter müssen immer wieder neu eingearbeitet werden,
oder die Kommunen vergeben Aufträge an externe Dienstleister. Kleinere
24 Umweltbundesamt (2022). https://www.umweltbundesamt.de/themen/gesundheit/umwelteinfluesse-auf-
den-menschen/umweltgerechtigkeit-umwelt-gesundheit-soziale-lage
25 Aktuell stehen 5 M€ für 350 hessische Klimakommunen oder 14 286 € je Klimakommune zur Verfügung.
26 Hierbei sind als Prozesse zu berücksichtigen:
“ Bereits die Wahrnehmung einer Beratung erfordert zusätzliche Ressourcen seitens der Kommune.
Nicht nur die Person, die den Antrag schreibt, sondern die internen Vorbereitungs- und
Begleitprozesse, das Beschaffen der Zahlen usw.
“ Kommunen müssen immer wieder die gleichen Anträge formulieren – natürlich ohne sie zu kopieren,
diese müssen immer wieder geprüft, verglichen, beschieden und bewilligt werden. Dieser bürokra-
tische Aufwand erzeugt selber keinen Nutzen oder Mehrwert. Alle Personen, die in diesem Prozess
eingebunden sind, können keine Aufgaben lösen, die einen realen Mehrwert erzeugen.
“ Als Ergebnis eines erfolgreichen Antrages bekommen Kommunen befristete Projektmit-
arbeiter:innen, die erst einmal eingearbeitet werden müssen; nachdem diese Personen dann einge-
arbeitet sind, müssen sie Folgeanträge schreiben, um entweder damit Aufgaben finanzieren zu
können, oder ihre eigene Stelle zu verlängern.
“ Bei einem Großteil der Fördermittel sind zudem keine zusätzlichen personellen Kapazitäten für die
Betreuung durch die Kommune vorgesehen. D.h. Kommunen können heute selbst eingeworbene
Projekte nicht durchführen, da niemand die Kapazität in der Kommunalverwaltung für die
Begleitung hat. Auch extern vergebene Aufträge an Ingenieurbüros etc. müssen von den Kommunen
zusätzlich personell begleitet werden.
Der Wegüber Projektanträge verzögert jede einzelne Maßnahme und jeden einzelnen Schritt deutlich.
27 ‚Jedoch wirken diese Förderprogramme räumlich und zeitlich begrenzt und zu oft wird durch die zeitlich
befristete Förderung Klimaschutz nicht nachhaltig in Verwaltungs- prozessen verankert. Es bedarf also
weiterhin verbesserter Rahmenbedingungen, um den kommunalen Klimaschutz voranzubringen!“
Umweltbundeamt (2022). Klimaschutzpotenziale in Kommunen. Quantitative und qualitative Erfassung von
Treibhausgasminderungs- potentialen in Kommunen.
https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/47 9/publikationen/factsheet_klimaschutzpot
enziale_in_kommunen.pdf
23
Kommunen haben schlicht nicht das Personal oder die Expertise, um diese Aufgaben
eigenständig zu erledigen, auch wenn dies langfristig die günstige Lösung darstellt.
Die Geschäftsmodelle externer Dienstleister sind nicht auf die realen Bedürfnisse
individueller Kommunen ausgerichtet, so dass Reibungsverluste auftreten”®.
Erfahrungen zeigen??, dass zentrale Datenerhebungen und die direkte Zusendung
vorhandener auf die Bedürfnisse des Klimaschutzes und der Klimaanpassung
zugeschnittener Daten hier eine erhebliche Kosteneinsparung und eine Optimierung
der Lernkurven auf allen Ebenen ermöglichen. Die heutige Praxis, vieles durch
externe Dienstleister erledigen lassen zu müssen, verursacht in der Summe bei den
Kommunen und Kreisen landesweit eine erhebliche zusätzliche personelle Belastung
bzw. erhebliche zusätzliche Kosten, bei denen sich durch eine zentrale
Vorgehensweise auf einfache Art Einspareffekte erreichen ließen.
Hilfreich sind Kompetenzzentren auf Landesebene, bei denen benötigte Expertise
direkt angefragt werden kann. So lassen sich auch Best Practices schnell und gezielt
verbreiten?®,
Die aktuelle Praxis der Nutzung externer Dienstleister, die aufgrund der Logik ihres
Geschäftsmodells kein Interesse an individuellen Lösungen, der Weiterentwicklung
von Wissen oder der proaktiven Verteilung von Methoden und Prozessen haben,
kostet viel bei geringem Nutzen?!.
Überwachung der Fortschritte
$9 Monitoring
(1) Das Erreichen der Ziele dieses Gesetzes wird durch quantitative
und qualitative Erhebungen überprüft (Monitoring). Das Monitoring
bildet die Grundlage für die Bewertung und Weiterentwicklung der
Klimaschutz-maßnahmen des Landes. Die Landesregierung Ist für das
Monitoring zuständig.
(2) Das Monitoring umfasst folgende Berichte:
28 Diese Dienstleister haben typisch ein Geschäftsmodell, beidem ähnlich klingende Aufträge im Wesentlichen
mit standardisierten Textbausteinen abgewickelt werden, Daher sind diese Ergebnisse oft wenig hilfreichoder
sinnvoll: Individuelle Bedürfnisse ihrer Auftraggeber oder Besonderheiten einzelner Kommunen werden so
regelmäßig übersehen, um im Rahmen einer einmal als „one size fits a/f gefundenen Lösung kostenoptimierte
Prozesse darstellen zu können.
2? Ergebnisse und Prozesse im Regionalverband Rhein-Main.
30 Ein gutes Beispiel sind die Fließpfadkarten des HLNUG, die zentral, auf einer gemeinsamen Datenbasis,
damit vergleichbar, auf sehr hoher Kompetenzebene erarbeitet werden:
https://www.hInug.de/themen/klimawandel-und-anpassung/projekte/klimprax-projekte/klimprax-
starkregen/fliesspfadkarten
31 Diese Aussage beruht auf diversen Erfahrungen bei der Mitarbeit der Autor:innen in Beteiligungsprozessen,
der Arbeit mit nahezu identischen Klimaschutzkonzepten externer Dienstleister aus ausgesprochen unter-
schiedlichen Kommunen und persönlichen Diskussionen mit Kommunen.
Sie bezieht sich ausdrücklich nicht auf die Auftragsvergabe an Hochschulen.
24
1. eine jährliche Treibhausgasbilanz des Landes Hessen, die durch das
Hessische Statistische Landesamt erstellt wird,
- einen alle fünf Jahre von der Landesregierung zu veröffent-
lichenden Monitoring- und Projektionsbericht der für Klimaschutz
zuständigen Ministerin oder des hierfür zuständigen Ministers, der
auf der Treibhausgasbilanz des Landes Hessen durch das Hessische
Statistische Landesamt aufbaut und insbesondere folgende Angaben
enthält:
a) zur Entwicklung und Projektion der Treibhausgasemissionen in
Hessen und deren Auswirkungen auf die Erreichung der Klimaschutz-
ziele,
b) zu Vorschlägen für die Weiterentwicklung von Klimaschutz-
malsnahmen für den Klimaplan Hessen,
c) zu Wirkungsbeiträgen und Wechselwirkungen mit Maßnahmen des
Bundes und der Europäischen Union zum Klimaschutz,
d) zu Aspekten der verursacherbezogenen Betrachtung von Treib-
hausgasemissionen.
(3) Der Landtag erhält die Treibhausgasbilanz und den Monitoring-
und Projektionsbericht zur Kenntnis.
(4) Bei einer durch den Monitoring- und Projektionsbericht Fest-
gestellten erheblichen Abweichung eines Emissionssektors von den
Zielen nach $3 in Verbindung mit $4 ist die hierfür zuständige
Ministerin oder der zuständige Minister verpflichtet, der für
Klimaschutz zuständigen Ministerin oder dem hierfür zuständigen
Minister innerhalb von drei Monaten nach der Veröffent-lichung des
Monitoring- und Projektionsberichts Maßnahmenvorschläge zur
Wiedererreichung des Zielofads des Emissionssektors vorzulegen.
Der wissenschaftliche Klimabeirat gibt zu den Maßnahmen-
vorschlägen Empfehlungen ab. Die für Klimaschutz zuständige
Ministerin oder der hierfür zuständige Minister legt die Maßnahmen
mit einer Bewertung der Landesregierung zur Beschlussfassung vor.
Die Landesregierung beschließt über die Maßnahmenvorschläge.
Dies ist ein wichtiger und relevanter Teil des Gesetzes; denn erst durch eine
ausreichend genaue Verfolgung der Fortschritte, die sich aus den Maßnahmen
ergeben und der daraus folgenden Möglichkeit, schnell steuernd eingreifen zu
können, lassen sich die komplexen Ziele des Gesetzes zielgerichtet steuern.
In der Erläuterung zu (4) ist festgelegt, dass 5% eine erhebliche Abweichung
darstellen. Hierbei ist unklar formuliert, ob es sich dabei um die gesetzlichen Ziele aus
84 handelt, oder die sehr speziellen einzelnen Ziele der Maßnahmen des
25
Klimaplans””. Der Bezug auf das Klimaziel des Gesetzes aus 83 sollte hier klar und in
juristisch eindeutiger Weise formuliert werden. Es sollte weiterhin klargestellt
werden, ob eine Abweichung um absolute 5 Prozentpunkte gemeint ist, oder um
5 Prozent des Zielwerts®®.
Die Festlegung, dass der nur alle fünf Jahre zu verfassende Monitoring- und
Projektionsbericht als Grundlage für die Bewertung der Zielabweichung angewendet
werden soll, kann dazu führen, dass erhebliche Abweichungen sich über lange Zeit
aufaddieren und so notwendige Maßnahmen recht lange verschleppt werden®*. Mit
Blick auf die Ziele des Gesetzes, im Sinne einer engen und verantwortungsvollen
Kontrolle ist eine jährliche Überwachung anzustreben. Nur durch diese enge
Kontrolle lassen sich zeitnah zusätzliche Maßnahmen, schneller umgesetzte
Maßnahmen oder Sanktionen zur Rückführung der Emissionen auf das Ziel absichern.
Es fehlen hier Sanktionsmöglichkeiten gegen Organisationen, die ihre Ziele nicht
erreichen (wollen). Solche Sanktionen sollten vorgesehen werden, um die
Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung zu erhöhen.
Es erscheint bereits heute wahrscheinlich, dass die Maßnahmen des in Beratung
befindlichen Klimaplans, soweit sie für den Beteiligungsprozess veröffentlicht
wurden, alleine nicht ausreichen werden, um die Ziele aus 83 zu erreichen. Durch die
hier vorgenommene 5-jährliche Überprüfung würde dies erst im Jahr 2030 „offiziell“
festgestellt werden können. Schon um den Eindruck zu vermeiden, hier würden
Möglichkeiten geschaffen, Abweichungen zu verschleiern, aber auch um zu
vermeiden, dass sich das Land in Erklärungsnöte verstrickt, ist ein zeitnaher jährlicher
Monitoring-Prozess sinnvoll.
Hierbei kann unterschieden werden zwischen einem detaillierten fünfjährlichen
Bericht, der große strategische Prozesse unterstützt, wie die Erarbeitung eines
nächsten Klimaplans und einem jährlichen Monitoring, das einfach gehalten werden
kann, um eben nur relevante Abweichungen schnell zu erkennen. Beim Umgang mit
relevanten Abweichungen kann dann eine detailliertere Betrachtung als Grundlage
der Ursachenfindung notwendig werden. Hier ist es sinnvoll, insbesondere
nachzubessern:
= Grundsätzlich die Verpflichtung, alle diese Berichte zu veröffentlichen.
Transparenz schafft Vertrauen und wirkt motivierend für die umsetzenden
Organe.
32 Viele der Ziele im Klimaplan werden durch Kennzahlen gemessen, wie Anzahl Beratungsgespräch,
Durchführung von Round-Tables. Als Beispiel Maßnahme BF-01: „Bis 2030 werden landesweit mindestens 14
regionale/lokale Klimabildungslandschaften mit jeweils mindestens 20 Akteur:innen aus jeweils mindestens 5
unterschiedlichen inhaltlichen Bereichen wie Bildung, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft etabliert“
Es bleibt unklar, welche konkrete THG-Emissionsminderung diese Maßnahme pro Jahr ergibt.
33 Sind Prozentpunkte gemeint, so würde dies bedeuten, dass bei einem Ziel für 2030 von 65 % Reduktion
gegenüber 1990 auch ein Wert von knapp über 60 % Reduktion noch im Rahmen wäre. Wird eine Abweichung
von 5 % vom CO,ze-Budgetwert für das Jahr 2030 zugelassen, so sind die zugelassenen Abweichungen deutlich
geringer.
34 Eine jährliche Abweichung von 5 % über 10 Jahre führt zu einer gesamten Abweichung vom ursprünglichen
Wert von 40 % – dassich zugleich die Ziele verändern, sind hier Abweichungen deutlich über 60 % zu erwarten,
bevor Maßnahmen greifen.
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In (2) 1. das Ziel, den Bericht zu nutzen, um den Erfolg der Maßnahmen zu
überprüfen.
Beim Umgang mit Abweichungen fehlen Fristen (bis wann) sowie die
Verpflichtung, zeitnah nicht nur den Zielpfad wieder zu erreichen, sondern
auch die zu viel getätigten Emissionen zeitnah auszubalancieren.
Es fehlt ein Absatz zu Sanktionen: Diese können Eingriffe aus übergeordneten
Behörden umfassen oder bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Verhalten
auch persönliche Sanktionen darstellen.
Negative Emissionen
Der Entwurf benennt das Thema nicht direkt. Es ist jedoch enthalten:
1)
In$ 7 (5) wird die Nutzung von Zertifikaten erlaubt, um Klimaziele des Landes
und seiner Behörden zu erreichen. Die dort gewählte Erläuterung “ freibhaus-
gasmindernden Investitionen (Zertifikate für Treibhausgasemissionen
beschreibt keine negativen Emissionen. Sie ist ausgesprochen vage und es
erschließt sich nicht auf Anhieb, wie damit an anderem Ort Emissionen in
Hessen ausgeglichen werden können.
Eine Kompensation von Emissionen an einem Ort kann logisch nur durch
Entnahme des Treibhausgases aus der Atmosphäre an einem anderen Ort
ausgeglichen werden. Daher werden hier negative Emissionen eingeführt.
Dies sollte im Gesetzestext geeignet geklärt und nachgebessert werden.
Implizit wird die Verpflichtung für negative Emissionen durch das Land
Hessen in der zweiten Hälfte des 21.-Jahrhunderts in $ 3 festgelegt: Der dort
festgelegte Verlauf der Minderung der Treibhausgasemissionen überschrei-
tet in Summe deutlich die Emissionen, die noch innerhalb des Zweckes des
Gesetzes (dem 2°C Ziel) möglich wären. Zusätzlich müssen die Emissionen
aus Scope 2 und 3 dem Land Hessen zugeschlagen werden. Die durch $3
zugelassenen zusätzlichen Emissionen ab 2050 sollen dann der Atmosphäre
entnommen werden. Die hessischen Emissionen aus Scope 2 und 3 müssen
zusätzlich aus der Atmosphäre entnommen werden, wenn echte
Klimaneutralität erreicht werden soll. In dem Gesetzentwurf fehlen die dafür
notwendigen Vorbereitungen und die Bildung geeigneter Rückstellungen
durch das Land. Dies sollte im Gesetzestext geeignet abgebildet werden.
Rückstellungen für zukünftige negative Emissionen, bzw. besser noch das Vermeiden
der Notwendigkeit durch deutlich ambitioniertere Klimaziele sind schon aufgrund
der aktuellen Rechtsprechung notwendig”.
35 Bundesverfassungsgericht (2021): Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021, 1 BvR 2656/18, 1BvR
96/20, 1 BvR 78/20, 1 BvR 288/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 78/20 (Klimaschutz). Online:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/03/rs20210324_1bvr26
5618.html
Zitationsvorschlag / Suggested citation: Linow, S., Basse, A. Curtius, J., Helbling, A.H., Kuzu, I., Urdze, S., Wolfermann, A. (2022). Wissenschaftliche Bewertung des Entwurfs zum Hessischen Klimagesetz, 27 pp. https://doi.org/10.5281/zenodo.7038959
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