Kostenfalle für Verbrauch und Kommunen
In Deutschland liegen 600.000 Kilometer an Erdgasleitungsrohren. Was passiert mit diesen Rohren, wenn kein Erdgas mehr verwendet wird? Sowohl für die Gasnutzer als auch für die Gasnetzbetreiber stellt sich ein großes ökonomisches und technisches Problem. In einer neuen Studie stellen Fachleute aus den Scientists for Future (S4F) das Problem in Zahlen und Fakten vor.
Erdgas als fossile Energie hat keine Zukunft: Seine Verwendung muss bis zur angestrebten Klimaneutralität 2045 eingestellt werden. Für die Netzbetreiber heißt das: ihre Investitionen in das Erdgasnetz rechnen sich nur noch für diese Zeit. Für die Erdgasindustrie bedeutet das darüber hinaus, dass der Erdgasverbrauch bis 2045 bis zum Nullverbrauch sinken wird: Wärme und Elektrizität kommen aus Wärmepumpen, Solarenergie und grünem Strom. „Durch Sanierung von Gebäuden und die Elektrifizierung industrieller Prozesse wird der Gasabsatz kontinuierlich sinken. Hinzu kommt die beginnende Umrüstung vieler Gebäude auf das Heizen mit Wärmepumpen, nicht zuletzt durch das abzusehende gesetzliche Verbot des Neueinbaus von Gasheizungen,“ hält S4F-Mitglied Peter Klafka, Erstautor der Studie, fest.
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Haben Gasnetze eine Zukunft?
Kommunale Wärmeversorger stehen vor großen Umstellungen
Autor:innen: Klafka, Peter; Clausen, Jens; Ehrhardt, Helge, Huber, Michael; Seifert Thomas
Foto von Anita starzycka auf Pixabay
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 3
- Kernaussagen 5
- Grüne Gase im Erdgasnetz? 7
- Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen wirken sich auf die Zukunft des Gasnetzes aus? 9
- Sanierungen und Wärmepumpen führen zu sinkendem Gasabsatz 11
- Das Gasnetz als kommunalpolitisches Risiko 14
- Das Gasnetz und die kommunale Wärmeplanung 15
- Perspektiven für kommunale Wärmeversorger 16
- Quellen 17
⦁ Einleitung
In 2045 soll Deutschland klimaneutral sein, so steht es im Klimaschutzgesetz (Die Bundesregierung, 2021). Dieses Ziel klingt abstrakt, bedeutet konkret aber das Ende für die Nutzung fossiler Energieträger, bei deren Verbrennung CO2 frei wird. Bei Kohle wird der Ausstieg schon seit Jahren diskutiert und ist in den Köpfen der Menschen verankert. Denn der Kohleausstieg wurde beschlossen und gesetzlich geregelt (Die Bundesregierung, 2020). Mit dem „Fit For 55“-Paket der Europäischen Union wurde auf den Weg gebracht, dass Personenkraftwagen oder leichte Nutzfahrzeuge mit Verbrennungsmotor ab 2035 in der EU nicht mehr auf den Markt gebracht werden dürfen. Das Ende der Nutzung von Benzin und Diesel ist damit eingeläutet. Auch die Nutzung von Erdgas wird zum Erreichen der Klimaneutralität aufgegeben werden müssen. Über diesen Sachverhalt wird bisher nicht ausreichend klar gesprochen. Stattdessen wird Erdgas teilweise noch immer als auszubauende Brückentechnologie propagiert.
Erdgas hat sich seit den 1960er und 1970er Jahren zu einem wichtigen Energieträger entwickelt.
Abbildung 1: Erdgas-Verbrauch in Deutschland 1965 bis 2020
Quelle: Statistical Review of World Energy, BP (2023)
Erdgas ist 2020 mit 905 TWh/a, entsprechend 27 % der Gesamt-Primärenergienachfrage von 3.387 TWh/a, der zweitwichtigste Energieträger Deutschlands (AG Energiebilanzen, 2022) gewesen. Für die Haushalte ist Erdgas mit 42,1 %, genauso wie für die Industrie mit 35,7 %, der wichtigste Energieträger (Umweltbundesamt, 2022).
Für die Erzeugung von Wärme werden 598 TWh/a Erdgas (66 %) eingesetzt, davon entfallen 257 TWh/a (28%) auf die Raumwärmeversorgung der Haushalte, 236 TWh/a (26 %) auf die Prozesswärmebereitstellung in der Industrie und 105 TWh/a (12 %) auf die Wärmeversorgung des Dienstleistungssektors (AG Energiebilanzen, 2021).
Erdgas wird durch Pipelines verteilt. Das Fernleitungsnetz in Deutschland ist 41.600 Kilometer lang. An diesem sind rund 3.800 große Verbraucher direkt angeschlossen (Bundesnetzagentur, 2022a) sowie die Übergaben in die Verteilnetze. Die der Bundesnetzagentur gemeldete Gasnetzlänge im Verteilernetz einschließlich der Hausanschlussleitungen beträgt weitere gut 554.400 km und weist rund 11 Mio. Ausspeisepunkte an Letztverbraucher auf (Bundesnetzagentur, 2022).
Während die Debatte über die Zukunft des Heizens und auch die Zukunft der industriellen Prozesswärme schon weit entwickelt ist (Clausen et al., 2022; Madeddu et al., 2020; Rehfeldt, 2022), ist die Zukunft des Erdgasnetzes noch eine weitgehend offene Frage. Was passiert mit 600.000 km Erdgasleitungen, wenn der Erdgasabsatz zurückgeht? Droht den Kommunen ein Rückgang der Konzessionsabgaben? Können die Erdgasnetze umgestellt werden auf grüne Gase, zum Beispiel Wasserstoff oder Biogas? In diesem Policy Paper möchten wir Antworten auf diese Fragen geben.
⦁ Kernaussagen
Das Erdgasnetz ist eine in Jahrzehnten gewachsene Selbstverständlichkeit der Energieversorgung. Mit einer Gesamtlänge von insgesamt ca. 600.000 km erreicht es die Mehrzahl der Städte und Dörfer. Fast jeder zweite Haushalt in Deutschland heizt mit Erdgas. Eine große und weiterhin steigende Zahl von Kraftwerken wird mit Erdgas betrieben. Viele Industrieunternehmen nutzen Erdgas als Energiequelle oder Rohstoff in ihren Prozessen. Erdgas gehört aber zu den fossilen Energien und seine Verwendung muss bis zur angestrebten Klimaneutralität 2045 eingestellt werden. Wie geht es also mit den Gasnetzen weiter?
⦁ Eine Vorstellung ist, dass zukünftig einfach andere Gase durch die Leitungen fließen. Das könnte zum Beispiel Biogas sein, von dem allerdings nur wenig zur Verfügung steht. Die aktuelle Erzeugung von Biogas entspricht nur ca. 10 % des Erdgasverbrauchs und viele Stimmen mahnen, dass zur Schonung der Natur die Produktion von Biogas sinken sollte (Kapitel 3).
⦁ Auch über grünen Wasserstoff oder daraus hergestelltem Methan wird oft gesprochen. Wasserstoff scheint aus gleich zwei Gründen kein guter Ersatz für Erdgas zu sein: Zum einen sind die zur Verfügung stehenden Mengen sehr wahrscheinlich noch über Jahrzehnte klein, zum anderen bleibt von einer Kilowattstunde grünem Strom nach der Umwandlung in künstliches Methan nur gut eine halbe Kilowattstunde zum Heizen übrig, während mit einer Wärmepumpe aus der gleichen Menge grünem Strom über drei Kilowattstunden Wärme bereitgestellt werden können. Das Heizen mit Wasserstoff wird voraussichtlich deutlich teurer werden, als das Heizen mit Wärmepumpen. (Kapitel 3).
⦁ Die gesetzlichen Rahmenbedingungen, z.B. das Energiewirtschaftsgesetz und das Konzessionsrecht, setzen einen florierenden Gasmarkt voraus. Es fehlen bisher Regelungen, die einen geordneten Ausstieg aus der flächendeckenden Gasversorgung sowie eine Reduktion der Erdgas-Infrastruktur ermöglichen (Kapitel 4).
⦁ Die Wirtschaftlichkeit der Gasnetze wird voraussichtlich stark sinken. Durch die Sanierung von Gebäuden sinkt der Gasabsatz kontinuierlich. Hinzu kommt die beginnende Umrüstung vieler Gebäude auf das Heizen mit Wärmepumpen, nicht zuletzt auch durch das kommende gesetzliche Verbot des Neueinbaus von Gasheizungen. Auch industrielle Gaskunden mit Bedarf an Prozesswärme beginnen die Elektrifizierung der Wärmeversorgung vorzubereiten. Fallenden Absätzen stehen aber keine sinkenden Netzkosten gegenüber, solange die Ausdehnung der Gasnetze nicht zurückgeht. Daher müssen in Zukunft die Netzkosten auf immer weniger Kunden umgelegt werden, wodurch der Gaspreis steigen wird (Kapitel 5).
⦁ Durch die sinkende Ertragskraft der Gasnetze und den sinkenden Absatz sind auch die kommunalen Einnahmen aus den Konzessionsabgaben zukünftig unsicher. Zudem könnte es dazu kommen, dass sich für einzelne Gasnetze kein Konzessionär mehr findet (Kapitel 6).
⦁ Im Rahmen der kommunalen Wärmeplanung sollte berücksichtigt werden, dass die Erdgasnetze im Bereich der privaten Wärmeversorgung mittel- bis langfristig entfallen werden. Im Bereich großer Reservekraftwerke ist dagegen darauf zu achten, dass der Anschluss an die Gas-Fernnetze zum Weiterbetrieb mit grünem Methan oder Wasserstoff erhalten bleibt. (Kapitel 7).
In Zukunft wird die Existenz eines Erdgasnetzes in vielen Gebieten keine Selbstverständlichkeit mehr sein. Die Kommunen und Gas-Netzbetreiber sollten sich frühzeitig auf die Veränderungen einstellen, welche die Energiewende mit sich bringen wird, und sie in der Planung bereits heute berücksichtigen.
⦁ Grüne Gase im Erdgasnetz?
Die Idee ist naheliegend: Wenn wir kein fossiles Erdgas mehr fördern, verteilen und nutzen dürfen, dann produzieren wir grüne Gase unter Einsatz von grünem Strom und speisen diese in das Erdgas-Verteilnetz ein. So könnte weiterhin Gas zum Heizen und für die industrielle Produktion eingesetzt werden und die mit hohen Investitionen aufgebaute Gasnetz-Infrastruktur und die Verbrauchs-Infrastruktur könnte weiterhin genutzt werden.
Die Energieversorgung muss sich aber immer an drei wesentlichen Zielen orientieren: Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit. Die Idee, synthetisches klimaneutrales Gas in großen Mengen zu erzeugen und ins Erdgasnetz für die Wärmeversorgung einzuspeisen hat einen ganz wesentlichen Nachteil: sie ist deutlich teurer als die Alternativen.
Der Grund ist, dass für die Herstellung von klimaneutralem Wasserstoff zunächst grüner Strom erzeugt werden muss. Mit diesem Strom wird dann in einer Elektrolyseanlage Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Bei Bedarf kann der Wasserstoff zu synthetischem Methan weiterverarbeitet werden. Sowohl bei der Elektrolyse als auch bei der Methansynthese kommt es aber zu Energieverlusten. Maximal 60 Prozent der Energie des grünen Stroms werden gegenwärtig in synthetischem Gas gespeichert, zukünftig wird ein etwas höherer Wirkungsgrad für möglich gehalten (Fendt, Buttler, Gaderer & Spliethoff, 2016; Hodges et al., 2022; Tjarks, 2017; Zachmann et al., 2021).
In der Anwendung konkurriert dieses Gas bei der Bereitstellung von Raumwärme mit der Wärmepumpentechnologie, die mit einer Kilowattstunde Strom 3 bis 4,5 Kilowattstunden Wärme bereitstellt (vgl. Kapitel 5 und Scientists for Future, 2022c). Letztlich führt dies dazu, dass für das Heizen mit synthetischem Gas ca. sechsmal so viel grüner Strom erzeugt werden muss wie für das Heizen mit einer Wärmepumpe. Damit erfüllt synthetisches Gas eine wesentliche Anforderung an die Energieversorgung nicht: es ist nicht wirtschaftlich (Clausen, 2022; Scientists for Future, 2022a). Auf die zukünftigen Kund:innen kommen u.U. deutlich höhere Heizkosten zu.
Ein zweites Argument ist, dass wir Wasserstoff aus Ländern importieren werden, in denen er weit billiger hergestellt werden kann. Auch dies ist durchaus denkbar, allerdings wird dieser Kostenvorteil durch Umwandlungs- und Transportkosten größtenteils oder vollständig wieder zunichte gemacht (Saerbeck, 2023). .
Dazu kommt, dass es innerhalb der nächsten 20 Jahre unwahrscheinlich ist, dass für Raumwärme genügend Wasserstoff oder darauf basierende Synthesegase zur Verfügung stehen. Denn andere Wasserstoffabnehmer, wie die chemische Industrie, die Stahlindustrie und die Luftfahrtunternehmen haben keine elektrische Alternative zum Wasserstoff. Sie werden daher bei Knappheit entweder regulatorisch Vorrang genießen oder bereit sein, höhere Preise zu zahlen, um die Raumwärmekunden als Wasserstoffabnehmer zu verdrängen.
Andere Branchenunternehmen setzen Hoffnung in Biogas als Ersatz um ihre Gasnetze weiterhin auslasten zu können. Während 2020 fast 600 TWh Erdgas für die Wärmeerzeugung eingesetzt und über die Netze verteilt wurden (AG Energiebilanzen, 2021), lag die deutsche Biogasproduktion in der Größenordnung von 70 bis 80 TWh (Deutsches Biomasseforschungszentrum & Wuppertal Institut, 2022). Die derzeitige Biogasproduktion erreicht also gerade einmal 12 % des Erdgasverbrauchs. Die überwiegende Menge davon wird derzeit in dezentralen Blockheizkraftwerken (BHKW) zur Stromerzeugung eingesetzt. Selbst wenn zukünftig das Biogas überwiegend in das Erdgasnetz eingespeist werden sollte, wäre das heutige riesige Verteilnetz damit nicht wirtschaftlich zu betreiben. Zudem prognostizieren zahlreiche Studien einen Rückgang der Produktion von Biogas auf Basis nachwachsender Rohstoffe (Umweltbundesamt, 2019), weil Teile der heute eingesetzten Biomasse zukünftig als Rohstoff für chemische Produkte genutzt werden können.
Um die Biogasmengen, die noch zur Verfügung stehen werden, konkurrieren dann elektrische Spitzen-Residuallast-Kraftwerke zur Abdeckung von Dunkelflauten sowie Industrieunternehmen, die aufgrund ihrer Produktionsprozesse unvermeidbar Gas benötigen. Absehbar werden daher keine (großen) Mengen an Biogas ausreichend preiswert für die Einspeisung in Verteilnetze zur Verfügung stehen.
Ein Netz für grüne Gase wird in Zukunft im Wesentlichen Großkunden versorgen, beispielsweise Stahlwerke und Spitzenlast-bzw. Reservekraftwerke (Scientists for Future 2023). Diese Abnehmer sind überwiegend direkt am Gas-Fernleitungsnetz oder über kurze Zuleitungen im Verteilnetz angeschlossen. Der überwiegende Teil des deutschen weit verzweigten Gas-Verteilnetzes von heute 560.000 km (Bundesnetzagentur, 2022a), das durch viele Wohnstraßen und Gewerbegebiete mit kleineren Abnehmern verläuft, ist von der Stilllegung bedroht.
Wie langsam die Entwicklung hin zu einem Netz mit grünen Gasen gehen wird, wird auch am aktuellen Netzentwicklungsplan Gas 2020 – 2030 der Fernleitungsnetzbetreiber deutlich. Bis 2030 sind dort nur 1.294 km der über 41.000 km Fernleitungen für die Nutzung durch grünes Gas eingeplant.
⦁ Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen wirken sich auf die Zukunft des Gasnetzes aus?
Das deutsche Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung, auch Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) genannt, gibt es seit 1935 (Die Bundesregierung, 2022). Im Zuge der Energiewende wurde es in den letzten Jahren häufig verändert. Es enthält die grundlegenden Regelungen für die leitungsgebundene Energieversorgung mit Strom und Gas. Zweck des Gesetzes ist, eine möglichst sichere, preisgünstige und umweltfreundliche Versorgung mit Strom und Gas sicherzustellen, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht.
Das Recht auf Nutzung der Strom- und Gasnetze
Das Energiewirtschaftsgesetz verpflichtet die Netzbetreiber, allen Kunden ihre Netze diskriminierungsfrei zur Verfügung zu stellen. In § 17 Abs. 1 (Die Bundesregierung, 2022) heißt es dazu:
„Betreiber von Energieversorgungsnetzen haben Letztverbraucher, gleich- oder nachgelagerte Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetze sowie -leitungen, Ladepunkte für Elektromobile, Erzeugungs- und Gasspeicheranlagen sowie Anlagen zur Speicherung elektrischer Energie zu technischen und wirtschaftlichen Bedingungen an ihr Netz anzuschließen, die angemessen, diskriminierungsfrei, transparent und nicht ungünstiger sind, als sie von den Betreibern der Energieversorgungsnetze in vergleichbaren Fällen für Leistungen innerhalb ihres Unternehmens oder gegenüber verbundenen oder assoziierten Unternehmen angewendet werden.“
Damit hat grundsätzlich jeder das Recht auf eine Nutzung der Strom- und Gasnetze zu fairen Preisen. In Rechnung gestellt werden dürfen ein Grundpreis, ein Arbeitspreis sowie die Kosten, die mit der Herstellung eines Neuanschlusses verbunden sind. Die Netzbetreiber werden von den Regulierungsbehörden kontrolliert. Vor dem Hintergrund der zurückgehenden Nachfrage nach Erdgas und des daraus resultierenden wirtschaftlich notwendigen Schrumpfens der Erdgasnetze ist die Logik des Anspruchs von Endkunden auf einen Anschluss an das Erdgasbestandsnetz zu überdenken und neu zu regeln.
Die Konzessionierung von Gasnetzen
Für das Recht zur Verlegung und den Betrieb von Leitungen unterhalb öffentlicher Verkehrswege zahlen Netzbetreiber den Gemeinden jährliche Konzessionsabgaben in Höhe von ca. 3,2 Mrd. €. Dies macht ca. 1,1 % an den Gesamteinnahmen der Verwaltungshaushalte der Gemeinden in Höhe von jährlich 266,3 Mrd. € aus (BMF, 2022).
Aus § 46 Abs. 2 EnWG ergibt sich, dass der jeweilige Inhaber einer Konzession auch Eigentümer des jeweiligen Netzes ist und er die Übertragung des Eigentums vom vorherigen Inhaber der Konzession verlangen kann (Bundesnetzagentur & Bundeskartellamt, 2015). „Für die wirtschaftlich angemessene Vergütung ist der sich nach den zu erzielenden Erlösen bemessende objektivierte Ertragswert des Energieversorgungsnetzes maßgeblich“ heißt es zur Bestimmung des Wertes in § 46 EnWG.
Das Konzessionsrecht insgesamt wird den Ansprüchen einer Transformation der Energieversorgung nicht mehr gerecht. Verschiedene Anpassungen sind erforderlich, um eine effektive kommunale Wärmeplanung zu ermöglichen (Peters 2022).
Einer weiteren Ausdehnung von Gasnetzen können Kommunen bei der Ausweisung von Bebauungsflächen entgegenwirken. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 23a des BauGB können Kommunen grundsätzlich in Bebauungsplänen die Versorgung mit Erdgas für Neubaugebiete auch aus Gründen des Klimaschutzes ausschließen. Dazu kommt, dass viele Erdgasversorger nicht mehr bereit sind, Neubaugebiete ans Erdgasnetz anzuschließen, da in die Mehrheit der Neubauten bereits heute keine Gasheizungen mehr einbaut werden. Die Erdgasversorger können sich dabei auf die “Angemessenheit der technischen und wirtschaftlichen Bedingungen” des Energiewirtschaftsgesetzes berufen.
Die CO2-Abgabe
Die CO2-Abgabe wurde im Verkehrs- und Gebäudesektor im Januar 2021 durch das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) eingeführt. Bis 2025 werden von der zuständigen Behörde Emissionszertifikate zu einem Festpreis verkauft, der 2021 bei 25 Euro pro Tonne CO2 lang und bis 2025 schrittweise auf 45 Euro ansteigt. Ab 2026 soll es ein nationales Emissionshandelssystems mit einem Preiskorridor von zunächst mindestens 55 und höchstens 65 Euro geben. Je Kilowattstunde Erdgas wurden 2021 ca. 0,5 Cent erhoben, 2025 wird es knapp 1 Cent/kWh Erdgas sein. Die Preisentwicklung danach ist nicht genau absehbar, da sie von noch kommenden politischen Vorgaben bestimmt wird. Wahrscheinlich ist z.B. die Zusammenführung des zunächst separat geplante Emissionshandels mit dem Emissionshandel für CO2-Emissionen aus Kraftwerken und Industrie, für den derzeit Zertifikate ab 2031 mit über 120 Euro/t CO2 gehandelt werden. Die CO2-Angabe wird dazu führen, dass Erdgas über den Marktpreis hinaus kontinuierlich teurer und damit im Vergleich zu anderen Methoden des Heizens weniger wirtschaftlich wird.
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⦁ Sanierungen und Wärmepumpen führen zu sinkendem Gasabsatz
Die Notwendigkeit der Energiewende wurde durch den Überfall Russlands auf die Ukraine nochmals verdeutlicht. Denn jetzt steht nicht mehr nur die Klimakrise, sondern auch die Energieversorgungssicherheit im Brennpunkt. Die Reduktion des Energiebedarfs durch Einsparmaßnahmen wird staatlich gefördert, ebenso der Ersatz alter Gaskessel durch andere Heizungen wie Wärmepumpen. Und die sehr stark gestiegenen Gaspreise sorgen zudem für eine zunehmende Wirtschaftlichkeit von Wärmedämm-Maßnahmen. Die in der Vergangenheit sehr niedrigen Energie-Sanierungsraten werden sich voraussichtlich erhöhen, auch wenn der Fachkräftemangel sich als Hemmnis erweisen kann. Viele Prognosen (Ariadne Projekt, 2021; Dambeck et al., 2021; Dena, 2021; Sensfuß, 2022) erwarten daher einen sich fortlaufend reduzierenden Bedarf an Gas für Raumwärme und Warmwasserbereitung. Die Europäische Kommission strebt mit ihrem „Fit for 55“- Programm einen Rückgang des Erdgasverbrauchs bis 2030 um ca. 30 % an (EU-Kommission, 2022).
Eine Erweiterung des Gasabsatzes durch Neukundengewinnung ist hingegen nicht absehbar. In Neubaugebieten ist es schon seit mehreren Jahren nicht mehr wirtschaftlich, ein Gasnetz zu verlegen, da Neubauten einen sehr geringen Raumwärmebedarf haben (Teufler, 2019). Dieser wird schon heute überwiegend mit Wärmepumpen gedeckt (Destatis, 2022a). Bei Neubauten nahm der Anteil von Erdgasheizungen bereits stark ab, dieser Rückgang hat sich jetzt nochmal beschleunigt. Lag der Anteil der Erdgas-Heizungen bei Neubauten in 2021 noch bei 34,3 % (Destatis 2022 a) fiel er im ersten Halbjahr 2022 auf nur noch 16,2 % ab (Destatis; 2022 b).
Der Markthochlauf der Wärmepumpe zusammen mit dem kommenden Verbot der Ersatzinvestition in neue Öl- und Gasheizungen wird zu einem starken Wachsen des Marktanteils der Wärmepumpe im Markt für Wärmeerzeuger führen. Innerhalb der nächsten 20 Jahre wird daher die Zahl der Gasheizungen kontinuierlich zurückgehen.
Zusammen mit der fortschreitenden energetischen Gebäudesanierung wird der Erdgasabsatz deutlich sinken. Das ist klimapolitisch so gewollt und wird gravierende Auswirkungen für die Gasnetzbetreiber, die Gasversorger und die Kommunen haben.
Verstärkt wird dieser Effekt durch weitere Änderungen, die sich bei der Erzeugung industrieller Prozesswärme ankündigen. Auch in Branchen, die Wärme mit Temperaturen bis zu 135 °C benötigen, können Wärmepumpen mit einer Kilowattstunde Strom deutlich mehr als eine Kilowattstunde Wärme bereitstellen. Ein Einsatz ist damit z.B. in der Lebensmittelbranche, im Maschinenbau, der Textilindustrie und in Teilen der chemischen Industrie möglich (Madeddu et al., 2020; Rehfeldt, 2022). Die mit Wärmepumpen bereitstellbare Prozesswärme wird voraussichtlich zukünftig noch höhere Temperaturbereiche bis 200°C abdecken.
Zudem lassen sich mit Strom noch deutlich höhere Temperaturen erzeugen. Dies geht durch Widerstandsheizungen, Heizstrahler, Induktionsöfen und Lichtbögen für mehrere hundert bis über tausend Grad, wobei aus einer Kilowattstunde Strom dann nur ca. eine Kilowattstunde Wärme wird. Bei einem Umweg über grüne Gase werden es aufgrund der Umwandlungsverluste nur ca. 0,6 bis 0,7 Kilowattstunden sein. Auch industrielle Wärmenutzer werden also, wo immer möglich, aus Gründen der Wirtschaftlichkeit eher Strom direkt einsetzen, als teureres grünes Gas zu nutzen. Grüne Gase werden in Deutschland aufgrund der unvermeidbaren Umwandlungsverluste, der Kosten der eingesetzten technischen Anlagen und des Transportaufwandes auf absehbare Zeit je kWh teurer sein, als elektrische Energie aus Wind- und Photovoltaik-Erzeugung.
Dem Rückgang des Gasabsatzes steht kein entsprechender Rückgang der Gas-Netzkosten gegenüber. Die Netzkosten sind fast unabhängig von der Menge des abgesetzten Gases. Sie sind im Wesentlichen durch Abschreibungen und Instandhaltungen des weitverzweigten Verteilnetzes bestimmt. Lediglich die Betriebskosten der Verdichterstationen sind abhängig von der Menge des Gases.
Das durchschnittliche Netzentgelt für Haushaltskunden liegt gegenwärtig bei ca. 1,6 Cent pro kWh (Bundesnetzagentur, 2022a). Geht durch energetische Sanierungen, mehr Wärmepumpen und wegfallende Industriekunden der Gasabsatz um 25% zurück, muss der Netzpreis je kWh um 33%, also ca. 0,5 Cent/kWh, ansteigen, um die gleich gebliebenen Kosten zu decken. Die verbleibenden Gaskunden müssen je kWh also einen höheren Netzpreis bezahlen. Das macht den Gaseinsatz wirtschaftlich unattraktiver, was zu weiteren Kundenverlusten durch Umstieg auf die Wärmepumpe bzw. zu weiteren Dämmmaßnahmen führen wird, die wiederum für einen Rückgang des Gasabsatzes und damit einem Anstieg der Netzpreise führen. Diese Wirkungskette beginnt langsam, der Anstieg der Netzentgelte nimmt dann mit zunehmendem Rückgang des Gasabsatzes immer schneller zu. Ist der Gasabsatz um 50% zurückgegangen, dann steigen die durchschnittlichen Entgelte um 1,6 Cent/kWh auf 3,2 Cent/kWh.
Eine weitere Beschleunigung dieses sich selbst verstärkenden Kreislaufs wird durch die Verkürzung der Abschreibungsdauern für Ersatzinvestitionen verursacht. Diese ist mit der Begründung der absehbaren Beendigung der Erdgasnutzung bereits genehmigt (Bundesnetzagentur, 2022b). Ein Gasnetzbetreiber, der heute eine Ersatzinvestition tätigen muss, kann diese jetzt so abschreiben, dass die Abschreibung bis 2045 vollständig getätigt ist. Statt wie bisher z.B. 40 Jahre Abschreibungsdauer auf Rohre, können jetzt 22 Jahre angesetzt werden. Die kalkulatorischen Kosten der Netze erhöhen sich in diesem Fall. Der resultierende prozentuale Anstieg erhöht sich weiter, je später eine Investition getätigt wird und je mehr sich die Abschreibungsdauer über die Jahre verkürzt. Zwar könnte ein Netzbetreiber im Vertrauen auf in Zukunft verfügbare grüne Gase auch eine längere Abschreibungsdauer wählen, die Erfahrung zeigt aber, dass Möglichkeiten zur schnellen Abschreibung meist genutzt werden.
Noch nicht geklärt ist der Umgang mit den Investitionen, die vor 2023 getätigt wurden und ggf. Abschreibungsdauern bis nach 2045 unterliegen. Hier drohen zukünftige Sonderabschreibungen, welche die Gasnetzpreise dann weiter erhöhen (Bundesnetzagentur, 2022b).
Insgesamt werden durch den absehbaren Rückgang des Gasabsatzes und die Verkürzung der Abschreibungsdauern die Netzentgelte deutlich steigen. Zusammen mit steigenden Preisen für CO2-Emissions-Zertifikate wird sich eine zunehmende Unwirtschaftlichkeit des Erdgaseinsatzes gegenüber Wärmepumpen ergeben, was einen sich selbst verstärkenden Kreislauf in Gang setzen kann. Denn in den nächsten Jahren werden sich viele Verbraucher und Kommunen dieser Zusammenhänge bewusst werden, was dann zu einer „Raus aus dem Gas“-Mentalität führen könnte.
⦁ Das Gasnetz als kommunalpolitisches Risiko
Die Gasindustrie investiert bis in die Gegenwart hohe Summen in Ausbau und Unterhaltung ihrer Netze. 2020 wurden 1,68 Mrd. € in Neu- und Ausbau der Fernleitungs- und Verteilnetze investiert. Weitere 988 Mio. € flossen in Wartung und Instandhaltung der Netzinfrastruktur (Bundesnetzagentur, 2022a). Bis 2030 sieht der Netzentwicklungsplan der Fernleitungsbetreiber weitere Investitionen von 7,8 Mrd. € in Erdgasnetze und 0,7 Mrd. € in Wasserstoffnetze vor (Die Fernleitungsnetzbetreiber, 2021). Die Investitionshöhe erweckt den Eindruck, als könne auch in Zukunft alles so weitergehen wie bisher. Agora Energiewende kritisierte noch vor kurzer Zeit die Bundesnetzagentur, weil sie weitere hohe Investitionen möglich macht (Saerbeck, 2021).
Was aber, wenn die Nachfrage nach dem teuren Wasserstoff klein bleibt und auch Biogas nur in kleinen Mengen zur Verfügung steht? Dann erfolgen hohe Investitionen in eine Infrastruktur, die nur noch wenige Jahre genutzt wird und die kaum noch abgeschrieben werden kann. Damit droht eine Investitionsruine, die sich zur Kostenfalle für noch verbleibende Gaskunden oder Kommunen entwickeln könnte. Denn die von einigen Erdgasnetzbetreibern vorgetragene Aussicht auf große Mengen grüner Gase, also Wasserstoff, daraus hergestelltem synthetischem Methan oder Biogas, stellt sich bei näherer Betrachtung wahrscheinlich als Illusion heraus (vgl. Kapitel 3).
Es ist nötig, die weiteren Planungen des Energiesystems auf eine energieeffiziente und damit auch weitgehend elektrifizierte Welt auszurichten. Und die benötigt eher eine Ertüchtigung der Stromnetze als einen Ausbau der Erdgas-Infrastrukturen, sowohl auf überregionaler als auch auf kommunaler Ebene. Schon heute befürchtet der Verband kommunaler Unternehmen (VKU), dass eine bestehende Infrastruktur entwertet werden könnte, die mehrere hundert Milliarden Euro wert ist (DTS Nachrichtenagentur, 2022).
Auf Ebene der Kommunen sind mehrere Entwicklungen zu befürchten:
⦁ Die Ertragskraft von Stadtwerken wird durch einen Rückgang des Gasverkaufs sinken. Dies gilt insbesondere für Stadtwerke, die diesen Rückgang nicht durch einen wachsenden Fernwärme- oder Stromabsatz ausgleichen können.
⦁ Die Einnahmen aus Konzessionsabgaben für Gasnetze werden deutlich sinken, da der Gasabsatz zurückgehen wird.
⦁ Bei einer Neuvergabe der Konzession für das Gasnetz könnte es sein, dass sich kein neuer Konzessionär bewirbt. Dann aber wären die noch verbliebenen Endkunden ohne Gasnetzbetreiber, die Gemeinde müsste als Versorger einspringen.
Der Rückbau des Gasnetzes ist bei einer Stilllegung derzeit gesetzlich gefordert und würde sehr hohe Kosten verursachen. Eine sinnvolle gesetzliche Regelung wäre es, nicht mehr benötigte Gasleitungen zunächst im Boden zu belassen und erst beim nächsten Tiefbauvorgang zu entfernen. Denn zumindest für Leitungen im Verteilnetz ist eine Dringlichkeit für eine sofortige Entfernung nach Stilllegung nicht zu erkennen.
⦁ Das Gasnetz und die kommunale Wärmeplanung
In den nächsten Jahren steht in den größeren Kommunen mit mehr als 10.000 bzw. 20.000 Einwohner:innen die Erstellung einer kommunalen Wärmeplanung an.
Eine kommunale Wärmeplanung legt die Grundlage für die lokale Wärmewende in der Kommune und die Transformation hin zu einer möglichst vollständig auf erneuerbaren Energien basierenden Wärmeversorgung. Ein kommunaler Wärmeplan enthält dabei Analysen zum aktuellen Wärmebedarf, zu den vorhandenen Wärmepotentialen, sowie ein Zielszenario für eine klimagerechte Wärmeversorgung und einen Maßnahmenplan (vgl. Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg, 2021; Scientists for Future, 2022d).
Wesentliche Festlegungen innerhalb eines kommunalen Wärmeplans betreffen zum einen die mögliche Lage und Ausdehnung eines Fernwärmenetzes. Für jedes regenerativ versorgte Fernwärmenetz sollte, um höchste Effizienz zu erreichen, eine Anschluss- und Benutzungspflicht in einer Fernwärmesatzung festgelegt werden (Scientists for Future, 2022b). In den Satzungsgebieten wird perspektivisch eine sehr hohe Versorgungsrate mit Fernwärme erzielt werden, so dass der Anteil der Erdgaskunden stark zurückgehen wird. In diesen Gebieten sollte daher der Rückbau des Gasnetzes von vornherein mit geplant und auch kommuniziert werden. Nur so lässt sich vermeiden, dass die Kommune oder der konzessionierte Energieversorger ein immer unwirtschaftlicheres Gasnetz lange Zeit aufrechterhalten muss, was die verbleibenden Kunden mit immer höheren Kosten belasten wird.
In weiteren Gebieten wird die Wärmepumpe die dominierende Wärmetechnik werden. Da in Gebäuden mit schlechtem Energiestandard der Energieeffizienzklassen F, G und H bis zu deren energetischen Sanierung häufig der Einbau einer Hybridheizung aus Gaskessel und Wärmepumpe zu erwarten ist, wird in diesen Gebieten ein Rückbau des Gasnetzes kurz und mittelfristig eher nicht möglich sein. Trotzdem müssen die Kommunen die Besitzer dieser Gebäude rechtzeitig auf die i. d. R. langfristig notwendige Einstellung der Erdgasversorgung hinweisen.
Für die langfristige Gasversorgung, v.a. industrieller Kunden, sollte ermittelt werden, ob ein Anschluss an das überregionale Netz grüner Gase in absehbarer Zeit möglich erscheint und welche Mengen an Wasserstoff, synthetischem Methan oder Biogas mittel- und langfristig eingekauft werden können. Wichtig ist es, die zukünftige Preisentwicklung für solche Gase abzuschätzen, um so das Interesse der Endkunden an der Versorgung mit diesen Energieträgern beurteilen zu können. Weiter ist abzuschätzen, welche Gasmengen für die Versorgung von prioritären Kunden, wie z.B. Spitzenlastkraftwerken, für die Wärme- und Stromnetze benötigt werden.
Ebenfalls notwendig ist es, die Lage der in der Gemeinde vorhandenen BHKW zu ermitteln und zu prüfen, bis wann für diese eine Gasversorgung als gesichert gelten kann. Im Dialog mit den Betreibern sollte geklärt werden, für welche Anlagen sich unter Umständen keine Ersatzinvestitionen mehr lohnen.
⦁ Perspektiven für kommunale Wärmeversorger
Gemeinden, die über eigene Stadtwerke als Gasnetzbetreiber verfügen, stehen vor großen Herausforderungen. Das Pariser Klimaabkommen und das deutsche Klimaschutzgesetz, vor allem aber die Gesetze der Atmosphärenphysik geben die unabänderlichen Notwendigkeiten vor, die Nutzung sämtlicher fossiler Energien schnellstmöglich einzustellen.
Der positive Blick nach vorn zeigt in der Wärmeversorgung drei große Zukunftsmärkte:
Ein Ausbau der Fernwärme kann dazu führen, dass die Fernwärme einen wesentlich größeren Teil der Wohnungen mit Wärme versorgt. Hierzu müssen Leitungen verlegt und Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Wärme geplant und gebaut werden (Scientists for Future, 2022b). Die Aufgaben, die auf die Betreiber von Wärmenetzen zukommen, sind groß und in vielen Kommunen wird der Bau von Wärmenetzen überhaupt erst begonnen werden müssen, um zumindest die dicht bebauten Kernbereiche von Siedlungen zu versorgen.
Nahwärmenetze und Quartierswärmelösungen sind überall dort wichtig, wo es die Anschlussdichte und die lokalen Wärmequellen hergeben. Quartiersbezogene Wärmequellen können Rechenzentren, Kühlhäuser, Abwasserleitungen, Grubenwasser, Klärwerke, Flüsse, Seen oder geothermische Anlagen sein, die über Wärmepumpen genutzt werden. Oft findet sich aber kein Unternehmen, welches eine begrenzte Zahl von Gebäuden an ein kleines Leitungsnetz anschließt, um solche lokalen Wärmequellen zu nutzen. Stadtwerke als bereits bestehende oder noch aufzubauende kommunale Wärmeversorger sind daher wichtige Akteure beim Aufbau von Nahwärmenetzen und Quartierswärmelösungen. Sinnvoll kann es auch sein, dass die Kommune für diesen Zweck die Einrichtung von Energiegenossenschaften unterstützt.
In Gebieten ohne Wärmenetze wird es eine hohe Nachfrage nach Wärmepumpen geben (Scientists for Future, 2022c und d). Nicht jeder aber kann die hohen Investitionen dafür aufbringen. Schon heute bieten daher viele kommunale Wärmeversorger Wärmepumpenanlagen in Contractingmodellen an. Auch hier liegen Umsatzpotenziale für kommunale Unternehmen. Zusätzlich können Stromversorger spezielle Wärmepumpentarife anbieten. In der netzdienlichen Flexibilisierung elektrischer Wärmepumpen liegen ebenfalls große Chancen für die Zukunft.
Die Wärmekunden wollen auch in Zukunft gemütlich und warm wohnen und sie sind auch in Zukunft bereit, für zuverlässige, umweltfreundliche und im Vergleich kostengünstige Wärme zu zahlen. Gas als Wärmequelle steht aber dafür zukünftig für die meisten Kunden nicht mehr zur Verfügung.
⦁ Quellen
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Impressum
Die Policy Paper-Reihe zur Wärmewende stellt knapp und evidenzbasiert relevante Fakten mit Bedeutung für die Wärmewende dar. Sie richtet sich an politische EntscheiderInnen auf kommunalpolitischer Ebene, aber auch an Akteure aus Wirtschaft, Journalismus und Zivilgesellschaft und die am jeweiligen Thema interessierten Öffentlichkeit.
Dieser Text wurde von Mitgliedern der „Scientists for Future” verfasst und durch Kollegen und Kolleginnen hinsichtlich der wissenschaftlichen Qualität (insbesondere der Belegbarkeit von Argumenten) ausführlich geprüft.
Dieses Projekt wurde unter dem Förderkennzeichen: 372223V284 gefördert durch das Umweltbundesamt und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Die Mittelbereitstellung erfolgt auf Beschluss des Deutschen Bundestages.
Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autorinnen und Autoren.
An der Erstellung dieses Textes waren beteiligt: Klafka, Peter; Clausen, Jens; Ehrhardt, Helge, Huber, Michael; Seifert Thomas
Endredaktion: Franz Ossing